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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sich?«
    Jabba und Proxi, die Arm in Arm dastanden, schienen beeindruckt. Ihrem Gesichtsausdruck entnahm ich, daß sie mit meiner Entscheidung einverstanden waren, friedlich mit der Doctora zu kooperieren. Ein Kräftemessen oder eine Herausforderung wären in diesem Augenblick und bei so ungleichen Bedingungen auch alles andere als sinnvoll gewesen. Doch ich nahm mir vor, sobald wir wieder zu Hause wären, die besten Anwälte Spaniens zu engagieren, um ihr den größten Prozeß aller Zeiten anzuhängen und sie endgültig zu vernichten. Damit rechnete die Doctora gewiß nicht. Wir konnten also einstweilen die Waffen ruhen lassen. Alles zu seiner Zeit.
    Die Doctora hüpfte vorsichtig von Stein zu Stein, bis sie so dicht wie möglich vor der Mauer mit dem Kondorkopf stand. Zu meinen Füßen hatte sie einen alten, kaputten Rucksack zurückgelassen.
    »Mal sehen ... Was haben wir denn hier?« murmelte sie, während sie sich die Tocapus anschaute. »>Die Personen bleiben am Boden, knien nieder und heften ihren Blick auf das Unnötigec, und hier, >Die Vögel fliegen auf, kommen rasch voran und heften ihren Blick in die Höhe<.«
    Wir waren verblüfft. Die Doctora las Aymara so flüssig, als sei es ihre Muttersprache, und stellte zudem die Jovi-Übersetzung ziemlich in den Schatten. Mit den folgenden Erklärungen wollte sie uns wahrscheinlich zeigen, wie gut sie das Thema beherrschte.
    »Diese Sätze«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, »sind ein Wortspiel, bei dem das Bild von Passivität und Stillstand jenem von Bewegung und Wandel gegenüb ersteht: Die Menschen verharren fest auf der Erde, während die Vögel sich fortbewegen, indem sie die Erde durch den Himmel ersetzen. Kurzum, wir sprechen hier von der Anwendung dynamischer Kräfte zur Erlangung einer Veränderung.«
    Ich weiß nicht, ob sie erwartete, daß wir etwas sagten, aber da sie so redete, als hielte sie eine Vorlesung, schwiegen wir.
    »Jedenfalls tauchen hier die Wesen, die das Sonnentor anbeten, unter den Text gemischt auf und bilden zwei dreieckige Figuren, deren Scheitelpunkte zum Kopf des Kondors weisen. Würden wir beide Felder als ein einziges, großes betrachten und die Zeilen und Spalten von eins bis zehn durchnumerieren wie auf einem Schachbrett ...«, nachdenklich drückte sie mit Daumen und Zeigefinger die Unterlippe zusammen, »würde das Gesamtbild sich von Grund auf ändern. Denn dann hätten wir zwei sich in der Mitte kreuzende diagonale Linien, von denen eine aus zwei Vögeln und drei Menschen bestünde und die andere aus zwei Menschen und drei Vögeln.«
    »Fünf«, entfuhr es Proxi, die den Erklärungen aufmerksam gefolgt war. »Auf beiden Diagonalen sitzen je fünf Figuren. Ich erwähne das nur, weil ich davon überzeugt bin, daß dies hier etwas mit der vorigen Aufgabe zu tun hat, bei der man mit fünf multiplizieren und durch zwei dividieren mußte.«
    »Hier geht es zweifellos um eine Aneignung von Wissen und Fähigkeiten«, erwiderte Señora Torrent. »Sie bringen uns etwas bei und bitten uns, es praktisch anzuwenden. Sind wir würdig, Zugang zu einer höheren Macht zu erlangen, oder verschließt uns im Gegenteil unsere geistige Unfähigkeit die Türen?«
    Ich war platt, als ich die beiden so reden hörte, besonders die Doctora. Sie argumentierte rein wissenschaftlich und hatte eindeutig pädagogisches Talent. Und Proxi, unsere Proxi, begriff blitzschnell, worum es ging, und reagierte entsprechend.
    »Hören Sie mal, Doctora ...«:, unterbrach Jabba sie. »Können Sie nicht reden wie ein ganz normaler Mensch? Müssen Sie sich immer so gewählt ausdrücken?«
    Marta Torrent musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen, so als konzentriere sie sich, um ihn im nächsten Augenblick mit Gammastrahlen zu bombardieren und in eine Plasmapfütze zu verwandeln. Ich dachte: >Wenn wir jetzt nicht dazwischengehen, gibt es gleich Krieg.< Doch nein, die Szene belehrte mich eines Besseren: Dieser Blick der Doctora war der Auftakt zu einem unbändigen Lachen. Statt beleidigt und wie eine wilde Furie zu reagieren, prustete sie los. Ihr Lachen breitete sich im Gang mit seinem durchlöcherten Boden aus und wurde vervielfacht von den Wänden zurückgeworfen, bis uns schließlich ein wahrer Bacchantinnen-Chor zu umringen schien.
    »Oh ., das tut mir leid, Señor ...!«: Sie versuchte, das Lachen zu unterdrücken. »Ich ... entschuldigen Sie, ich erinnere mich nicht an Ihren Namen.«
    »Marc. Ich heiße Marc«, antwortete er widerwillig.
    Ich

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