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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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den Fingern laufen. Um Dein Geld kommst Du nicht, darauf verlasse Dich!«
    »Diese Ueberzeugung habe ich auch ohne Deine Versicherung. Greif also zu; ich mag das Geld nicht mehr sehen.«
    »Gut. Das Document stelle ich Dir gleich aus.«
    Er strich das Geld zusammen und verschloß es; dann stellte er ihm die Schuldverschreibung aus, welche Randau mit jener Behaglichkeit einsteckte, welche die natürliche Folge einer guten, ehrenhaften That ist.
    »Jetzt trink weiter!« sagte Hagenau, indem er einschänkte. »Ich will Dir mittheilen, daß ich grad noch so eine Flasche habe. Ich kaufte ein Dutzend dieser Sorte, als ich noch nicht wußte, daß bei mir einmal das Geld alle werden könne. Jetzt freilich werde ich es mit einer billigeren Marke halten müssen.«
    »Doch nur für kurze Zeit, hoffe ich.«
    »O, das Geld fliegt viel schneller fort, als es zurückkehrt.«
    »Na,« lachte Randau, »es giebt Wege, welche schnell zum Wohlstand führen!«
    »Schnell? Meinst Du etwa Arbeit?«
    »Nein. Die führt zwar sicher zum Ziele, aber langsam.«
    »Was dann?«
    »Zum Beispiel eine reiche Heirath.«
    Hagenau lachte laut auf und antwortete:
    »Heirath? Ich?«
    »Nun ja!«
    »Jetzt möchte ich abermals fragen, ob Du toll bist.«
    »Ich bin sehr bei Sinnen.«
    »Siehe meine Figur an!«
    »Die ist etwas in die Länge gezogen, aber doch proportionirt.«
    »Ja. Ihr habt mich ja stets nur den Kranich genannt. Dieses Wort bezeichnet den ganzen Inbegriff meiner Schönheit! Schaue ferner meine Nase an!«
    »Auch ein Wenig lang, aber nicht unmäßig.«
    »Ja, sie paßt grad so zu mir, wie der Schnabel des Kranichs zu dem ganzen Vogel.«
    »Deshalb brauchst Du nicht zu verzagen. Du trägst einen alten, berühmten Namen.«
    »Da kann ich eine ebenso alte Jungfer heirathen, deren Schnabel ebenso lang ist, wie der meinige.«
    »Heirathe bürgerlich, aber reich!«
    Das Gesicht Hagenau’s nahm einen außergewöhnlichen Ernst an. Er antwortete:
    »Höre, Freund, ich wäre der letzte, welcher mit den Gefühlen seines Herzens Speculation treibt. Wenn ich ja einmal heirathen sollte, dann sicherlich nur Eine, welche mich trotz meiner Häßlichkeit lieb hat. Und da dies ein Wunder sein würde und also wohl nicht gut möglich ist, so bleibe ich ledig. Mein alter Name wird trotzdem nicht auf den Aussterbeetat kommen, da der liebenswürdige Onkel Oberstkommandirender ja zwei Jungens hat, die hübscher sind als ich, und also wohl auch Frauen bekommen werden. Es hat jeder Mensch ein Herz, ich also auch; aber es ist eben nicht Jeder so glücklich, auf die Stimme des Herzens hören zu dürfen.«
    Sein Ton klang klagend und resignirt, gar nicht so schnarrend wie gewöhnlich. Randau sagte:
    »Du wirst ja beinahe schwermüthig! Fast scheint es, als ob Dein Herz schon einmal gesprochen hätte!«
    »Hm! Möglich.«
    »Ah, Alter, ertappe ich Dich!«
    »Na, gegen einen Anderen würde ich nichts sagen; Du aber hast mir heute einen solchen Beweis wahrer Freundschaft gegeben, daß ich mich einmal lächerlich machen will. Denke Dir also, die Stunde des Kranichs hat geschlagen.«
    »Das ist freilich wundersam!«
    »Nicht wahr?«
    »Du und verliebt! Der kalte, sarkastische, prosaische Kranich, der sich bisher nur über die Liebe und überhaupt über die Damenwelt lustig machte, ist verliebt!«
    »Ja; aber er ist nur deshalb verliebt, weil es nicht eine von Euren sogenannten Damen ist.«
    »Also wohl bürgerlich?«
    »Hm, vielleicht noch weniger!«
    »Soll ich erschrecken?«
    »Thue es! Es ist freilich schauderhaft, aber dieser gefühllose Hagenau hat sich in eine – Schusterstochter verliebt.«
    »Rede kein Blech!«
    »Es ist die Wahrheit.«
    »Oho!« sagte Randau ungläubig. »Das machst Du Allen weiß, aber nur mir nicht!«
    Er hatte das Bild, und Hilda Holm war doch keine Schuhmacherstochter.
    »Ja, man sollte es eigentlich für unmöglich halten,« meinte Hagenau; »aber es ist dennoch so. Darum kann ich mich auch selbst gar nicht begreifen. Ich bin seit kurzer Zeit ein ganz anderer Mensch geworden. Ich esse nicht, ich trinke nicht, ich spiele nicht, ich rauche nicht – –«
    »Was thust Du denn?«
    »Sapperment, ich rede mit dem Mond und rasire mich täglich fünfmal, um so glatt wie möglich zu sein. Schau, dort steckt die Puderquaste, und da liegt der Liebesbriefsteller. So verrückt macht Einen ein hübsches Gesicht.«
    »Darf man neugierig sein?«
    »Warum nicht? Ich mache regelmäßig meinen Spaziergang. Da begegnete sie mir eines schönen Tages. Als sie an

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