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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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alle Hoffnung verlor. Rose räusperte sich. Die Frau hatte erwartungsvoll den Blick auf ihre gefalteten Hände gesenkt und biss sich auf die Unterlippe.
    »Ihr Mann hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass er Sie liebt«, stieß er ohne Umschweife hervor. »Und er bedauert, Ihnen solche Sorgen gemacht zu haben.«
    »Das ist alles, oder?« Die Frau hielt immer noch den Blick gesenkt.
    »Nicht ganz. Er sagte, er plane einen wunderschönen Garten für Sie. Mit Kreuzblumen, glaube ich, und Bartnelken, aber vielleicht habe ich mich da verhört.« Rose verzog entschuldigend das Gesicht. »Von Blumen und Pflanzen habe ich leider keine Ahnung.«
    Die Frau stand einen Augenblick so reglos da, dass Rose befürchtete, sie hätte das Bewusstsein verloren. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht, und ihre Schultern zuckten. Rose trat einen Schritt auf sie zu und fasste sie behutsam am Ellbogen.
    »Mrs. May, es tut mir so furchtbar leid …«
    Er wartete, dass sie sich beruhigte und den Kopf hob, aber sie hielt nur stumm die Hände vor das Gesicht gepresst. Der Kleine sah aufmerksam zu ihr hoch und strich ihr durch den abgetragenen Rockstoff übers Bein.
    »Mrs. May, vielleicht sollten Sie sich setzen.« Rose sah sich nach einem Stuhl um. »Vielleicht auf die Treppe?«
    Behutsam führte er sie aus dem Zimmer in den schmalen Flur. Aus dem hinteren Raum war ein dünner, hoher Schrei wie das Wimmern eines Kätzchens zu hören. Der Junge wandte besorgt den Kopf, aber seine Mutter zeigte keine Reaktion. Lange saß sie auf der Treppe, ohne ein Wort zu sagen. Der Junge legte den Kopf in ihren Schoß. Nachdem sie sich schließlich die Augen an der Schürze getrocknet hatte, schickte sie das Kind in die Küche.
    »Sie werden ihn hängen, nicht wahr?«, fragte sie leise, aber beinahe gefasst.
    »Ich glaube, ja.« Rose zögerte und wand seine Finger hinter dem Rücken ineinander, dass es schmerzte. »Sie haben die Waffe gefunden. Versteckt unter seinem Schreibtisch in der Greek Street.«
    »Nein.« Polly schüttelte ungläubig den Kopf. »Nein, das kann nicht sein«, sagte sie und runzelte die Stirn.
    »Tut mir leid …«
    »Verstehen Sie denn nicht. Es kann nicht sein.«
    »Ich weiß, wie schwer es für Sie sein muss, Mrs. May …«
    »Nein!« Pollys Kopf fuhr hoch. »Sie können das Messer unmöglich gefunden haben. Ich … ich … es ist nicht das Messer. Das kann nicht sein.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil ich es habe.«
    Rose starrte sie an. »Wie bitte?«
    »Ich habe es. Williams Messer, das er an jenem Abend bei sich hatte. Es war in seiner Tasche, als ihn die Polizisten nach Hause brachten. Ich habe es gefunden. Ich … ich hatte Angst. Dass sie wiederkommen. Ich habe es versteckt. Im Mehlkasten. Ich wusste doch nicht, was ich machen sollte.«
    »Und Sie haben es noch?«
    »Ja. Danach habe ich alle Messer weggesperrt. Damit … damit er sich nichts antut.«
    »Könnte ich es bitte sehen?«
    Polly nickte. Sie versuchte sich an dem Geländer hochzuziehen, aber plötzlich wich das Blut aus ihrem Gesicht, und sie krümmte sich zusammen, die Hand auf ihren Bauch gepresst.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Rose besorgt.
    Vorsichtig richtete sich Polly auf. »Kommen Sie«, sagte sie.
    Die Küche war noch nicht vollständig ausgeräumt, überall standen Kisten und Körbe. Der Junge starrte gebannt in einen der Körbe und stocherte mit dem Finger darin herum. Polly griff mit beiden Händen in den Mehlkasten, und sofort stieg Staub auf, der sich auf ihre Arme legte und ihr blasses Gesicht weiß überzog.
    »Hier.«
    Sie reichte ihm einen in ein altes Taschentuch eingewickelten Gegenstand. Mehlstaub rieselte auf seine Schuhe, als er es aufwickelte. Ein Messer. Mit Mehl bestäubt. Rose wischte es ab.
    »Es ist Blut daran, Mrs. May.«
    »Er hat sich regelmäßig geschnitten.« Polly sah den Jungen an und schluckte. Sie sprach so leise, dass man es kaum hörte. »Ich weiß nicht, warum.«
    »Hat er jemals ein Bajonett benutzt?«
    Polly schloss die Augen und suchte Halt an der Stange des Küchenherds.
    »Mrs. May, ich muss …«
    »Er kann unmöglich ein Messer in die Greek Street gebracht haben, Mr. Rose. An jenem Abend kam er aus den Abwasserkanälen direkt hierher. Das Messer steckte in seiner Tasche. Danach habe ich alle Messer weggesperrt. Und das Bajonett …« Pollys Miene wurde sanft, als sie sich jetzt daran erinnerte. Eine immer noch hübsche Frau, dachte Rose. Kaum älter als er selbst. »Wir haben es in den Fluss

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