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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Smith. Er heißt in Wirklichkeit Hawke.«

XXIX
    E s war Ebbe. Tom watete im Kanal bis zu der Nische, wo er sich im Dunkeln niederkauerte. Während sich das Wasser immer mehr zurückzog, sammelte sich das feste Treibgut entlang der Backsteinmauer, wo der Tunnel eine scharfe Biegung machte. Hier, direkt neben ihm, hatte Lady gern gesessen. Die Stelle war ihm so vertraut, dass er hätte schwören können, ihre Silhouette, weiß wie ein Gespenst, zu sehen, auch nachdem er die Blende seiner Laterne längst geschlossen hatte. Ihren Kopf in seiner Hand zu spüren hatte für ihn immer etwas Tröstliches gehabt. Jetzt jedoch ballte er die Fäuste, legte die Arme um die Knie und kniff die Augen so fest zusammen, dass Ladys bleiche Umrisse im dunkelroten Funkenregen hinter seinen Lidern verschwanden. Hier unten war der Ort, wo er in Ruhe nachdenken konnte. Hier würde er die Dinge klar sehen.
    Der Anwalt hatte ihn über den Captain – oder Mr. Hawke, wie er ihn beharrlich nannte – ausgefragt. Es hatte sich herausgestellt, dass der betrügerische Halunke überhaupt kein Captain war und ebenso wenig ein Doktor. Vielmehr hatte er es sich im Krimkrieg auf einem Drückebergerposten als Lagerist warm und gemütlich gemacht und weitab von der Front Mäntel und Fleischrationen ausgegeben. Und bestimmt hatte er dabei mächtig Profit herausgeschlagen. Jedenfalls war es nicht zu seinem Schaden gewesen. Jetzt saß er als hohes Tier in der Abwasserbehörde. Bestimmt hatte er sich ins Fäustchen gelacht, dass es ihm gelungen war, Tom Honig ums Maul zu schmieren, damit er für ihn die Drecksarbeit erledigte, und ihm gleichzeitig vorzuenthalten, was ihm zustand. Hätte Tom das geahnt, hätte er sich erst gar nicht mit ihm eingelassen. Ihm war ohnehin nie wohl dabei gewesen, überhaupt nicht wohl.
    Aber jetzt war es zu spät. Obwohl sich Tom, soweit er sah, nichts hatte zuschulden kommen lassen und nichts getan hatte, was ihn verdächtig machte, kreuzte immer wieder dieser Anwalt bei ihm auf und stellte Fragen, die zu beantworten Tom nicht die geringste Lust hatte. Ein Glück nur, dass der Knilch noch grün hinter den Ohren war. Toms erster Gedanke war gewesen, dass der Verrückte kaum eine Chance hatte, jedenfalls nicht, wenn ihm gegen die eiserne Macht des Gesetzes so ein Grünschnabel wie dieser Anwalt beistand. Man konnte ihm ja schon vom Gesicht ablesen, was in seinem Kopf vorging, oder daran, wie er die großen roten Hände rang. War er nervös oder unsicher, wie sein Gegenüber seine Worte aufnahm, hüpfte sein Adamsapfel auf und ab wie ein Hampelmännchen. Deshalb konnte Tom ihm bestimmt glauben, wenn er sagte, er denke nicht, dass er, Tom, mit dem Mord etwas zu tun habe.
    Doch trotz seiner Unerfahrenheit hatte er immerhin Tom ausfindig gemacht. Irgendwie hatte er es geschafft, dieser Anwalt, und nötigte ihm nun unablässig Antworten ab, während ihm vor Nervosität der Schweiß auf der Stirn stand. Er ließ einfach nicht locker. Und jetzt hatte er auch noch herausgefunden, dass Tom und der Captain etwas miteinander zu schaffen hatten. Im Moment war Tom zwar aus der Schusslinie, aber es würde nicht lange dauern, bis der Schatten des Verdachts vom Captain auch auf Tom fiel, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Als Nächstes würde der Anwalt wahrscheinlich den Captain fragen, was er über Tom wusste. Und der Captain würde ihn verpfeifen, so viel stand fest. Er würde sich alles Mögliche aus den Fingern saugen, aber man würde ihm glauben. So einer wie der Captain, der schlüpfrig war wie ein stinkender Aal, konnte sich überall herauswinden, wenn er nur eine winzige Lücke entdeckte. Er würde nach Rosen duften, nachdem er einem die Scheiße um die Ohren geschlagen hatte. Er würde dich anlächeln und die spitzen Zähne zeigen, den Kopf schütteln und sich davonmachen mit deinem Geld in der Tasche, deinem Blut an den Händen. Und deinem Hund in seinem Gefolge.
    Lady. Vor zwei Tagen hatten Joes Söhne ihm einen jungen Hund gebracht, einen Terrier mit vor Angst gesträubtem Fell und munteren Knopfaugen, der, an der Leine zerrend, Tom angeknurrt hatte. Ein blutrünstiger kleiner Köter, hatten sie gesagt, obwohl er kaum größer war als eine Männerfaust. Wenn man ihn abrichtete, hatten sie gesagt, würde er ordentlich Geld bringen. Zähne spitz wie Nadeln und nicht abgeneigt, sie auch zu gebrauchen. Natürlich hatte sich Tom bedankt, sie hatten es gut gemeint, aber er schickte sie weg und den Hund gleich mit. Jemand

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