Der Vermesser (German Edition)
angebracht, wenn ich …«
Hawke überhörte die Bemerkung. »Es ist kaum der Mühe wert, einen Anwalt einzuschalten«, sagte er stattdessen. »In Anbetracht der Umstände.«
»Welche Umstände könnten das denn sein, Mr. Hawke?«, fragte Rose herausfordernd, und rote Flecken traten auf seine blassen Wangen.
Hawkes Lächeln wurde breiter. »Ein klarer Fall, sagt man nicht so?«
»Wenn es denn tatsächlich ein klarer Fall ist«, gab Rose zurück. Er funkelte Hawke böse an, bemüht, die Nerven zu behalten.
Hawke lächelte immer noch, aber er kniff die Augen zusammen. »Ach ja?«
»Wenn schwarz auf weiß das Gegenteil bewiesen werden kann, wenn Beweise vorliegen, die einen anderen beschuldigen, dann nennt man es anders«, fuhr Rose fort und presste sich die Aktentasche wie einen Schild an die Brust. »Dann nennt man es berechtigte Zweifel.«
»Tatsächlich?«
»O ja. Insbesondere wenn es einen Brief gibt, den der Tote eigenhändig geschrieben hat und der mit seinem Blut befleckt ist.«
»Wie makaber. Könnte ich dieses faszinierende Schriftstück einmal sehen?«
»Ich habe es nicht bei mir. Aber an Ihrer Stelle würde ich keine voreiligen Schlüsse ziehen, Mr. Hawke.«
»Sie haben diesen Brief gar nicht, Mr. Rose, hab ich Recht?«
»Noch nicht, aber bald. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich muss einen Zeugen befragen. Eine fesselnde Person, wirklich. Eine Quelle faszinierender Informationen. Scheint die Abwasserkanäle wie seine Westentasche zu kennen.«
Im Vorgefühl des Triumphs klopfte ihm das Herz bis zum Hals, während er auf die Tür zuging. Auf der Schwelle blieb er stehen und drehte sich um. »Ich nehme an, der Name Langarmiger Tom sagt Ihnen nichts, Mr. Hawke?«
»Absolut nichts.«
Hawkes Antwort kam leichthin, wie aus der Pistole geschossen. Aber seine Augen zuckten, als hätte man ihn geschlagen. Rose ballte siegessicher die Fäuste, während er die Treppe hinunterstürmte. Erst als er draußen stand und die morgendliche Eiseskälte ihm das heiße Gesicht kühlte, fragte er sich, was in aller Welt er da getan hatte.
XXXII
B rassey hatte Binks, dem Wirt des Steakhauses, von Gerüchten erzählt, der Captain wolle am Samstagabend Lady zum Kampf antreten lassen, und der hatte wiederum Tom Bescheid gegeben. Brassey habe getobt wie ein Herbststurm, sagte Binks zu Tom; mit hervorquellenden Augen habe er gezischt, er werde nicht zulassen, dass der betrügerische Schurke auch nur einen Fuß über seine Türschwelle setze. Binks zufolge hatte sich der Captain seit Monaten nicht mehr im Badger blicken lassen. Er hatte dort noch alle möglichen Rechnungen offen, unter anderem nicht beglichene Wetten. Wenn sich der Captain einbilde, er könne so tun, als wäre nichts gewesen, so täusche er sich gewaltig, habe Brassey gepoltert. Aber dann habe er eingeräumt, die Chance, sein Geld wiederzubekommen, stünde besser, wenn er dem Halunken nicht den Zutritt verweigere. Prinzipien hin oder her, manchmal müsse man eben ein Stück weit nachgeben, damit man bekam, was einem zustand. Dasselbe gelte für Tom. Brassey gab zwar nicht direkt zu, einen Fehler begangen zu haben, sagte aber, er habe damals Dinge getan, die er aus heutiger Sicht anders machen würde. Tom solle das wissen. Und wenn Tom ins Badger kommen wolle, damit ihm wegen des Hundes Gerechtigkeit widerfahre, würde Brassey ihm keine Steine in den Weg legen. Er sei nicht nachtragend. Vielleicht sei er sogar bereit, wieder Ratten von ihm zu nehmen, fügte er beiläufig hinzu und zuckte die rundlichen Schultern. Geschäft war schließlich Geschäft, wenn nur der Preis stimmte.
Tom verzog den Mund zu einem müden Lächeln. Das also steckte dahinter. Tom hatte gehört, dass die Rattenfänger, die jetzt das Badger belieferten, die Käfige erst in letzter Sekunde brachten und den Preis hochtrieben, wenn es für Brassey zu spät war, sich woanders Ratten zu besorgen. Nicht überraschend also, dass der Wirt den Captain als Köder benutzte, um Tom wieder in seine Schenke zu locken. Heutzutage war ein Penny pro Ratte offenbar doch kein so schlechter Preis.
Trotz seiner Verachtung für Brasseys plump-dreiste Art war Tom plötzlich aufgeregt. Der Anwalt hatte zu Joe gesagt, er werde um sieben mit Lady im Kaffeehaus in der Narrow Lane sein, aber Tom glaubte es nicht so recht. Es erschien ihm unmöglich, dass dieser tollpatschige Grünschnabel die ganze Macht des Gesetzes würde aufbieten können, um den Captain zur Räson zu bringen. Jungs wie er,
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