Der Vermesser (German Edition)
unverzüglich zu benachrichtigen, falls eine Botschaft, egal welcher Art, für ihn eintreffen sollte. Aber er wusste, dass er ohnehin keinen Schlaf finden würde. Doch bis er wieder zu Hause war, hatte sich seine Aufregung gelegt. Gewiss, es war ein unglaublicher Zufall. Aber Rose war dadurch keinen Schritt weitergekommen. Hawke hatte sich durch Betrug einen Hund angeeignet. Das jedenfalls behauptete der Kanaljäger, und offen gesagt war Rose skeptisch, ob der Mann mit der Wahrheit auf gutem Fuß stand. Dieses Gesicht mit dem verschlagenen Blick und den abgebrochenen Zähnen flößte ihm alles andere als Vertrauen ein. Hawke hatte den Vertrag nicht mit seinem eigenen Namen unterzeichnet. Rose hätte die Ähnlichkeit der beiden Handschriften zwar nachweisen und vielleicht sogar die Geschworenen davon überzeugen können, dass Hawke einen unrechtmäßigen Vertrag abgeschlossen hatte, aber was war damit gewonnen? Es bewies höchstens, dass sich Hawke in den zwielichtigen Randbezirken der Stadt herumtrieb. Das vertrug sich zwar nicht besonders gut mit seiner Stellung in der Baubehörde, war an sich aber nicht verboten. Hier endete die Spur. Und noch immer hatte Rose nichts in der Hand, was Hawke des Mordes an Alfred England überführte.
Rose hatte im Dunkeln dagesessen und über den wenigen Fakten gebrütet, über die er verfügte, bis sie wie Worte, die man zu oft gelesen hatte, schal und bedeutungslos geworden waren. Kurz vor Mitternacht, als sein kleines Feuer bereits erloschen war, fiel er in einen unruhigen Schlaf. Das Trommeln des Jungen an der Tür schlich sich als beängstigendes Geräusch in seine düsteren Träume von den Elendsquartieren, so dass er erschrocken hochfuhr und ihm das Herz bis zum Hals schlug. Auch jetzt, im dicken Mief des Kaffeehauses, raste sein Puls noch, und er schwitzte unter seinem schweren Mantel. Er konnte seine Aufregung kaum bezwingen, als er den Brief noch einmal las:
Lieber Mr. Bazalgette,
ich habe die unangenehme Pflicht, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass Mr. Charles Hawke, der gegenwärtig in der Greek Street in Ihren Diensten steht, vor Ihren Augen Kontrakte für Bauaufträge Ihrer Behörde an den Meistbietenden verkauft. Da Sie, Mr. Bazalgette, ein Mann von Ehre sind, wird diese Entdeckung Sie zweifellos bestürzen, doch obschon Mr. Hawke behauptet, seine harten Vertragsbedingungen seien zum Nutzen der Baubehörde, zieht er fleißig eigenen Gewinn daraus. Ich bin mir sicher, dass er inzwischen ein reicher Mann ist. Und all das geschieht in der denkbar hinterhältigsten Art und Weise.
Woher ich das weiß? Mr. Hawke kam erstmals am 4 . September 1858 auf mich zu. Für die Summe von einhundert Guineen, zahlbar in bar, so versprach er, wolle er unsere Firma für einen Auftrag mit einem garantierten Mindestvolumen von fünftausend Pfund empfehlen. Bei Vertragsunterzeichnung würde Mr. Hawke zehn Prozent der Vertragssumme erhalten, mindestens jedoch eintausend Pfund. Es ist nicht nötig, Ihnen in allen Einzelheiten darzulegen, in welchen finanziellen Schwierigkeiten sich die Firma England seit einigen Jahren befindet, auch wenn behauptet wird, die Branche erlebe einen Aufschwung. Es mag genügen, wenn ich Ihnen versichere, dass wir die Unrechtmäßigkeit von Mr. Hawkes Angebot zwar durchaus erkannt haben, uns aber keine andere Wahl blieb, als es anzunehmen.
Dennoch kam kein Vertrag zustande. Nun ist es zu spät, sich nach neuen Aufträgen umzusehen. Die Bank hat das Darlehen gekündigt, die Ziegelei muss verkauft werden. Es ist vorbei. Doch bevor ich die Firma England für immer schließe, ist es mir ein Bedürfnis, reinen Tisch zu machen. Ich schäme mich für dieses schmutzige Geschäft. Aus Verzweiflung suchte ich Zuflucht in verzweifelten Maßnahmen. Ich bin mir bewusst, dass ich mich mit diesem Bekenntnis der ganzen Strenge des Gesetzes überantworte. Doch das spielt nun keine Rolle mehr. Ich vermag nicht tatenlos zuzusehen, wie sich Mr. Hawke auf betrügerische Weise ein Vermögen aneignet. Wenn Sie der Sache nachgehen, werden Sie mindestens auf drei weitere Firmen stoßen, die Verträge mit Ihrer Behörde von Mr. Hawke »gekauft« haben. Hawke ist ein gewissenloser Betrüger, der seine privilegierte Stellung skrupellos ausnutzt, um in die eigene Tasche zu wirtschaften. Wenn dieser Brief dazu beiträgt, ihn der Gerechtigkeit zu überantworten, hat es sich gelohnt, ihn zu schreiben, ganz gleich, welche Unannehmlichkeiten ich mir damit auflade.
Ich verbleibe
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