Der Vermesser (German Edition)
albern vor, als er sie tief in der Jackentasche vergrub und sich seine Finger um den klobigen Geldbeutel schlossen. Dann machte er sich mit den Guineen auf den Heimweg.
XVII
W ie er Polly versprochen hatte, erstattete William den Behörden keine Meldung über einen Mord, als er unmittelbar nach Weihnachten zu seiner Arbeit in der Greek Street zurückkehrte. Er redete kaum mit jemandem, sondern zog sich in seine Arbeitsnische zurück und sprach nur, wenn das Wort an ihn gerichtet wurde. Und selbst dann musste man ihn oft an der Schulter berühren, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er gemeint war. Über den Tisch gebeugt, drückte er bisweilen den Bleistift mit solcher Kraft aufs Papier, dass die Mine abbrach und auf der Schreibunterlage ein vollständiger Abdruck seiner Berechnungen zu sehen war. Er war von kränklicher Blässe, und die gelben, blutunterlaufenen Augen unter den schweren Lidern wiesen dunkle Ringe auf. Wie Hawke angelegentlich zu Lovick meinte, schien der Vermesser durch seine Krankheit um mindestens zehn Jahre gealtert. Offenbar, fügte Hawke hinzu, sei der Ärmste der Belastung, die seine Position mit sich brachte, immer weniger gewachsen. Das sei vor allem durch seinen anhaltend schlechten Gesundheitszustand bedingt und – hier senkte Hawke raunend die Stimme, schließlich handelte es sich hier um einen offenen Meinungsaustausch zwischen Männern von beruflicher Integrität – auch seine zunehmende Labilität. Die Greek Street sei schließlich kein Krankenhaus und die Baubehörde keine Wohlfahrtseinrichtung für Rekonvaleszente. Ob denn nicht besser ein anderer Vermesser an seiner Stelle ernannt werden solle?
Lovick, der eine Abneigung gegen Hawke hegte und insgeheim schwere Zweifel an seiner beruflichen Integrität hatte, sah sich gezwungen, ihm Recht zu geben. May war krank, das war nicht zu leugnen. Er musste ihn daher von seinen Aufgaben als Inspekteur der Abwasserkanäle entbinden, ohne ihn jedoch zu entlassen. Vielmehr teilte er William der Gruppe zu, die für den Bau der Pumpstation in Abbey Mills zuständig war, wo alle drei nördlichen Auffangkanäle zusammengeführt wurden. Laut Bazalgettes genialem, sorgfältig durchdachtem Plan sollten der hoch gelegene und der mittlere Auffangkanal allein unter Ausnutzung der Schwerkraft nach Osten abfließen; damit aber auch das Abwasser aus dem niedriger gelegenen Kanal ablaufen und sich mit den beiden anderen Auffangkanälen vereinen konnte, musste deren Inhalt mehr als vier Meter auf das Niveau der anderen Kanäle hochgepumpt werden. Der gesamte Abwasserstrom sollte dann in einen Auslaufkanal geleitet werden, der oberirdisch durch Marschland bis zu einem Reservoir westlich des Barking Creek führte. Zu diesem Zweck hatte Bazalgette die Firma James Watt & Co. beauftragt, nach seinen präzisen Vorgaben acht riesige Dampfmaschinen zu bauen. Der Plan sah überdies ein Gebäude für deren Unterbringung vor, mit einem Zugang zu dem riesigen Tunnelsystem, das der Zusammenfluss der drei großen Auffangkanäle erforderlich machte.
Planung und Bau einer solchen Anlage, die ihre Funktion effizient erfüllte, gestalteten sich als nicht besonders schwierig. Das enorme Gewicht der riesigen, mit Kohle betriebenen Dampfmaschinen hingegen bereitete den Inspekteuren und Baufirmen, die mit der praktischen Ausführung betraut waren, durchaus Kopfzerbrechen. Ein einfaches Gebäude mit Mauern und einem Dach hätte wahrscheinlich ausgereicht. Aber für Bazalgette und die Baubehörde war die Pumpstation weit mehr als nur ein Haus zur Unterbringung von Pumpen und Messgeräten. London hatte für die Erneuerung des Abwassersystems mehr als drei Millionen Pfund bewilligt. Es war sogar eine neue Drei-Penny-Steuer eingeführt worden, um das Unternehmen zu finanzieren. Jeder Grundbesitzer in London durfte ein Teilstück des einhundertunddreißig Kilometer langen neuen Tunnelsystems, das unter der Stadt entstand, sein Eigen nennen.
Das Pumpwerk in Abbey Mills würde neben jenem in Crossness für das Kanalnetz im Süden Londons das größte und finanziell aufwendigste ingenieurtechnische Projekt sein, das die Welt je gesehen hatte, wobei kaum jemals jemand das Privileg haben würde, es zu besichtigen. In Bazalgettes Augen war das Pumpwerk die sichtbare Verkörperung jenes großartigen Tunnelsystems, das aufgrund seiner Funktion jeglicher Romantik entbehrte und im Untergrund verborgen blieb.
Bazalgette hatte für Abbey Mills ein prachtvolles Bauwerk im
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