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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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zu lassen. Aber, wie gesagt, die Entscheidung liegt ganz allein bei dir.«
    »Tom!«, drängte Brassey und verdrehte die Augen. »Du beleidigst den Captain. Hier geht es schließlich nicht um eine Hand voll Halfpence. Dieser Vertrag wurde von richtigen Anwälten vor einem ordentlichen Gericht aufgesetzt. Absolut wasserdicht, soweit ich sehe. Völlig in Ordnung. Sieh her, ich für meinen Teil werde jetzt unterschreiben.«
    »Mein Lieber, mein Lieber.« Der Captain klopfte Brassey jovial auf die Schulter. »Tom?«
    Lady leckte Toms Ohr. Ihr heißer Atem roch metallisch nach Blut. Ganz unvermittelt streckte er die Arme aus und ließ die Hündin in die Arme des überraschten Captain fallen. Der zuckte zurück und setzte sie hastig auf dem Boden ab. Tom sah sie nicht an. Er brachte es einfach nicht über sich.
    »Nehmen Sie sie. Nehmen Sie sie nur.« Er streckte die Hand aus, und der Captain legte den Beutel mit dem Geld hinein. »Allerdings will ich dieses Schriftstück haben.«
    »Aber gewiss doch.«
    Der Captain unterschrieb mit einem Schnörkel und reichte Tom die Feder. Er zögerte, die Feder in der Hand.
    »Und wenn Sie nicht zahlen, bekomm ich sie zurück.«
    »Auf jeden Fall.«
    Tom tippte auf das Papier, als würde er es rasch überfliegen, und setzte dann seine unbeholfene Unterschrift darunter.
    »Ausgezeichnet«, sagte der Captain fröhlich. »Ich glaube, damit haben wir’s. Tom, wir sehen uns heute in einer Woche mit der nächsten Rate. Es war mir ein Vergnügen, mit dir handelseinig zu werden. Brassey, nehmen Sie den Hund. Ich schicke morgen früh jemanden vorbei, um ihn abzuholen.«
    Brassey packte Lady am Halsband und machte Anstalten, das Krötengesicht ekelverzerrt, sie aus dem Schankraum zu ziehen. Sie stemmte sich mit den Hinterbeinen dagegen und sah Tom mit einem Ausdruck flehender Verwirrung an. Tom wandte den Blick zum Kamin und starrte die staubige ausgestopfte Beauty in ihrem Glaskasten an. Sein Mund war wie ausgedörrt. Er hörte, wie Brassey seinen Gehilfen rief und ihn anwies, Lady in den Hof hinter der Taverne zu bringen, drehte sich aber nicht um. Er hörte das Kratzen ihrer Krallen auf den Holzdielen und dann die schweren Schritte des Gehilfen, als er auf dem Steinboden durch den schmalen Flur stapfte. Es kam ihm merkwürdig vor, dass er überhaupt etwas hörte, so laut war das Dröhnen in seinen Ohren. Ein Gewicht drückte ihm auf die Brust, bleischwer wie ein Toter, so dass er fast keine Luft bekam. Und auf einmal war er wieder in Cuckold’s Point, fast noch ein Kind, und der Schlamm der Themse zog ihn nach unten, immer tiefer nach unten, während er strampelte und versuchte, irgendwo Halt zu finden. Doch der Schlamm presste ihm die Rippen zusammen und drückte seine Schultern nach unten, und er sah hinauf zum Himmel und hatte den Geschmack von Schlamm und Scheiße im Mund und wartete nur darauf, bis ihm der stinkende Brei in Nase und Augen drang, ihm das letzte bisschen Wärme, Atem und Leben raubte und ihn von vorne und hinten und von oben und unten mit dickem, stinkendem Kot ausfüllte, der ihn von innen verfaulen ließ, bis er selbst schwarz und kalt und dunkel und vermodert war.
    Der Beutel mit den vierzig Guineen war schwer. In seinem ganzen Leben hatte er keine so große Summe besessen. Er wog das Geld in der Hand, wie es der Captain getan hatte, und ein heißer Schauder der Ehrfurcht durchfuhr ihn. Vierzig Guineen. Er ließ die Worte auf der Zunge zergehen und kostete ihren kalten süßen Klang. Nächste Woche würde er weitere dreißig bekommen. Und noch einmal dreißig eine Woche darauf. In seiner Brust wurde es heller – eine Flamme, die die Schatten zurückdrängte. Er drückte den Beutel fest in der Faust zusammen, bis ihn die Münzen in die Handfläche schnitten, dann steckte er ihn in die Geheimtasche seiner Segeltuchjacke und klopfte darauf, so, wie es der Captain gemacht hatte. Das Gewicht zog an seiner Jacke, und er hätte schwören können, dass die Münzen einen mattgoldenen Schein abstrahlten, der ihm die alten Knochen wärmte. Das Schriftstück hatte er im Saum seiner Jacke verwahrt. Er würde das Geld und das Dokument in den Abwasserkanälen verstecken, wo es sicher war. Einhundert Guineen. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. So mechanisch wie er Luft holte, schnippte er mit den Fingern und streckte die Hand aus. Er warf einen ungeduldigen Blick zu Boden, bevor es ihm wieder einfiel. Seine Hand kam ihm groß und leer und

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