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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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seinen Lidern verschwan-
    den. Hier unten war der Ort, wo er in Ruhe nachdenken konnte.
    Hier würde er die Dinge klar sehen.
    Der Anwalt hatte ihn über den Captain – oder Mr. Hawke, wie
    er ihn beharrlich nannte – ausgefragt. Es hatte sich herausge-
    stellt, dass der betrügerische Halunke überhaupt kein Captain
    war und ebenso wenig ein Doktor. Vielmehr hatte er es sich im
    Krimkrieg auf einem Drückebergerposten als Lagerist warm
    und gemütlich gemacht und weitab von der Front Mäntel und
    Fleischrationen ausgegeben. Und bestimmt hatte er dabei mäch-
    tig Profit herausgeschlagen. Jedenfalls war es nicht zu seinem
    Schaden gewesen. Jetzt saß er als hohes Tier in der Abwasserbe-
    hörde. Bestimmt hatte er sich ins Fäustchen gelacht, dass es ihm
    gelungen war, Tom Honig ums Maul zu schmieren, damit er für
    ihn die Drecksarbeit erledigte, und ihm gleichzeitig vorzuent-

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    halten, was ihm zustand. Hätte Tom das geahnt, hätte er sich erst
    gar nicht mit ihm eingelassen. Ihm war ohnehin nie wohl dabei
    gewesen, überhaupt nicht wohl.
    Aber jetzt war es zu spät. Obwohl sich Tom, soweit er sah,
    nichts hatte zuschulden kommen lassen und nichts getan hatte,
    was ihn verdächtig machte, kreuzte immer wieder dieser Anwalt
    bei ihm auf und stellte Fragen, die zu beantworten Tom nicht die
    geringste Lust hatte. Ein Glück nur, dass der Kniich noch grün
    hinter den Ohren war. Toms erster Gedanke war gewesen, dass
    der Verrückte kaum eine Chance hatte, jedenfalls nicht, wenn
    ihm gegen die eiserne Macht des Gesetzes so ein Grünschnabel
    wie dieser Anwalt beistand. Man konnte ihm ja schon vom Ge-
    sicht ablesen, was in seinem Kopf vorging, oder daran, wie er die
    großen roten Hände rang. War er nervös oder unsicher, wie sein
    Gegenüber seine Worte aufnahm, hüpfte sein Adamsapfel auf
    und ab wie ein Hampelmännchen. Deshalb konnte Tom ihm be-
    stimmt glauben, wenn er sagte, er denke nicht, dass er, Tom, mit
    dem Mord etwas zu tun habe.
    Doch trotz seiner Unerfahrenheit hatte er immerhin Tom aus-
    findig gemacht. Irgendwie hatte er es geschafft, dieser Anwalt,
    und nötigte ihm nun unablässig Antworten ab, während ihm vor
    Nervosität der Schweiß auf der Stirn stand. Er ließ einfach nicht
    locker. Und jetzt hatte er auch noch herausgefunden, dass Tom
    und der Captain etwas miteinander zu schaffen hatten. Im Mo-
    ment war Tom zwar aus der Schusslinie, aber es würde nicht
    lange dauern, bis der Schatten des Verdachts vom Captain auch
    auf Tom fiel, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Als
    Nächstes würde der Anwalt wahrscheinlich den Captain fragen,
    was er über Tom wusste. Und der Captain würde ihn verpfeifen,
    so viel stand fest. Er würde sich alles Mögliche aus den Fingern
    saugen, aber man würde ihm glauben. So einer wie der Captain,
    der schlüpfrig war wie ein stinkender Aal, konnte sich überall

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    herauswinden, wenn er nur eine winzige Lücke entdeckte. Er
    würde nach Rosen duften, nachdem er einem die Scheiße um die
    Ohren geschlagen hatte. Er würde dich anlächeln und die spit-
    zen Zähne zeigen, den Kopf schütteln und sich davonmachen
    mit deinem Geld in der Tasche, deinem Blut an den Händen.
    Und deinem Hund in seinem Gefolge.
    Lady. Vor zwei Tagen hatten Joes Söhne ihm einen jungen
    Hund gebracht, einen Terrier mit vor Angst gesträubtem Fell
    und munteren Knopfaugen, der, an der Leine zerrend, Tom an-
    geknurrt hatte. Ein blutrünstiger kleiner Köter, hatten sie gesagt,
    obwohl er kaum größer war als eine Männerfaust. Wenn man
    ihn abrichtete, hatten sie gesagt, würde er ordentlich Geld brin-
    gen. Zähne spitz wie Nadeln und nicht abgeneigt, sie auch zu ge-
    brauchen. Natürlich hatte sich Tom bedankt, sie hatten es gut
    gemeint, aber er schickte sie weg und den Hund gleich mit. Je-
    mand anderer würde mehr mit ihm anfangen können, hatte er
    ihnen gesagt. Er selbst sei zu alt und zu müde, um noch einmal
    von vorn anzufangen. In jener und in der vergangenen Nacht
    hatte er von Lady geträumt. Sie saß reglos da, halb im Schatten,
    doch so nah, dass er ihre leisen Atemstöße hörte und ihren war-
    men Hefegeruch roch. Tom lächelte ihr zu, schnippte mit den
    Fingern und streckte ihr die Hand entgegen, aber sie sah ihn mit
    ihren rosa Augen nur an, den Kopf schräg gelegt, ohne auch nur
    ein einziges Mal zu blinzeln. In seinen Träumen hatte er es erfah-
    ren, dieses unangenehme Gefühl, als das Glück in seinem Magen
    sauer wurde. Er hatte ihr zugerufen,

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