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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Decke hing so nied-

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    rig, dass der größere der beiden Wachtmeister nicht einmal
    aufrecht stehen konnte, der Kanal war jedoch breit und seicht.
    Giftige Pilze und Schimmel überzogen das stark erodierte Mau-
    erwerk. Überall lagen Backsteinbrocken verstreut. Hier gab es
    Hunderte, ja Tausende Verstecke. Vor Ekel und Abscheu hätte
    Rose am liebsten zu weinen angefangen.
    »Hier ist es?«, fragte er, bemüht, sich seine Verzagtheit nicht
    anmerken zu lassen. »Die Stelle auf der Karte?«
    »Exakt.«
    »Gut.« Bei der Aussicht, hier irgendetwas berühren zu müs-
    sen, drehte sich ihm der Magen um. »Wie viel Zeit haben wir?«
    Der Vorarbeiter zuckte die Achseln.
    »̕ne Stunde. Höchstens eineinhalb.«
    »Dann fangen wir am besten gleich an.«
    Rose drehte sich zu den beiden Wachtmeistern um. Dem Klei-
    neren der beiden war sichtlich übel, sein bleiches Gesicht hat-
    te einen grünlichen Schimmer, seine dicken Brauen und sein
    Schnurrbart waren schweißnass.
    »Wir r h
    ü ren nichts an«, sagte sein Kollege bestimmt. »Wir
    sind nur als Zeugen hier. So lautet unsere Anweisung.«
    Er sah Rose herausfordernd an, doch der erhob keinen Ein-
    wand. Er bat sie nur darum, wenigstens ihre Laternen hochzu-
    halten, damit er besser sehen könne. So systematisch wie mög-
    lich und bemüht, einen klaren Kopf zu behalten, fing er an, die
    glitschige Wand abzutasten, schob die Finger in den zerfallenen
    Mörtel und prüfte jeden Backstein, ob er ihn herausziehen
    konnte. Die Handschuhe waren ihm dabei nur hinderlich. Nach
    einer Viertelstunde streifte er sie ab, wie gelähmt vor Ekel und
    Enttäuschung. Das Gefühl der verrottenden Backsteine an den
    bloßen Händen verursachte ihm Brechreiz. Einige zerbröselten
    bei der bloßen Berührung. Einen konnte er unversehrt heraus-
    ziehen. Mit einem Fünkchen Hoffnung, die über seinen Abscheu

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    siegte, griff Rose in die Lücke. Sie war feucht und voller Schlick
    und Geröll. Der Schlamm drückte sich zwischen seine Finger
    und drang ihm unter die Nägel. Rose warf den Backstein bei-
    seite und tastete die Mauer weiter ab, von oben nach unten,
    drückte und zog an den Steinen, krampfhaft bemüht, nichts
    zu denken und nichts zu fühlen. Er musste besonnen vorgehen
    und durfte keine Stelle auslassen. Zwanzig Minuten vergingen,
    dreißig. Der Vorarbeiter sah ihm schweigend zu. Noch immer
    nichts. Immer ungeduldiger riss Rose an den Steinen, rüttelte
    und zerrte an ihnen und warf die herauspurzelnden Brocken ins
    Wasser. Seine Hände waren dreckverschmiert, die Finger aufge-
    schürft und wund, die Nägel abgebrochen.
    Doch er gab nicht auf. Schließlich verzog der Vorarbeiter den
    Mund zu einem leisen Grinsen. »Ich glaub, der hört nicht auf,
    bis er uns alle lebendig begraben hat«, sagte er trocken.
    Der Wachtmeister, noch immer grün im Gesicht, stieß einen
    gequälten Seufzer aus, schloss die Augen und fächelte sich mit
    einer Hand Luft zu.
    Rose war jetzt am Ende der Tunneleinbuchtung angelangt.
    Die andere Wand. Es musste die gegenüberliegende Wand sein.
    Durch das brackige Wasser watete er auf die andere Seite und be-
    gann dort von neuem mit der Suche. Wortlos tastete er sich auch
    hier voran, bis er zu einer Stelle gelangte, die im Schatten lag. Er
    hatte geglaubt, es sei eine durch das Laternenlicht hervorgeru-
    fene Täuschung, aber jetzt, als er näher kam, erkannte er, dass es
    eine Nische in der Tunnelwand war, die vom Knie bis zu den
    Schultern reichte und etwas mehr als einen halben Meter breit
    war. Die Backsteine schienen hier lockerer, die Nischenwand war
    von Löchern und schwärzlichem Geröll durchzogen, die an
    Zahnstummel im Mund eines alten Weibes erinnerten. Rose bat
    den Vorarbeiter, ihm zu leuchten. Er betastete die missgestalte-
    ten Backsteine, riss und zog. Da! Ein Backstein war beinahe un-

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    versehrt, die Ecken und Kanten noch nicht abgebröckelt, doch
    mit tiefen Kratzern auf der Oberfläche. Rose zog ihn heraus. Da-
    hinter klaffte ein dunkles Loch, das größer war als ein einzelner
    Backstein. Ihm stockte das Herz. Das musste es sein. Ganz si-
    cher. Mit zitternder Hand griff er hinein. Wieder sandiger Mör-
    tel und Geröll. Doch dann stießen seine Finger an etwas Glattes.
    Der Puls hämmerte ihm in den Ohren, als er es packte und he-
    rauszog. Ein Buch, ein ledergebundenes Notizheft. Alles hatte er
    erwartet, nur das nicht. Rose drehte und wendete es in der Hand.
    Auf der Vorderseite waren die Initialen WHM eingeprägt.

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