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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Und
    auf dem blassen Leder ein dunkler Tintenfleck. Nein, keine
    Tinte. Es war Blut. Roses Mund wurde trocken.
    Er schlug das Heft auf. Darstellungen von Blumen, wunder-
    schön mit Tusche gezeichnet und mit Wasserfarben ausgemalt
    und penibel beschriftet. In der Mitte leere Seiten, ein paar un-
    leserliche Krakel in derselben Handschrift. Rose blätterte wei-
    ter. Auf einer Seite in Großbuchstaben nur ein einziges Wort.
    Rose wurde schwindlig, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
    Er schlug die nächste Seite auf, die übernächste, zerknitterte das
    Papier, riss daran. Seite um Seite immer nur ein und dasselbe
    Wort, dieselbe Handschrift. Der Stift hatte sich durch das Papier
    gedrückt. Und quer über den Seiten dunkelbraune Flecken wie
    dicke Tinte. Oder Blut. Seite um Seite immer wieder dasselbe
    Wort.
    TÖTEN. TÖTEN. TÖTEN.
    Der widerliche Gestank des Tunnels wurde jetzt noch bedrän-
    gender und würgte Rose in der Kehle. Er schloss die Augen und
    versuchte, die Übelkeit hinunterzuschlucken. Der Ledereinband
    des Heftes klebte ihm an den Händen. Sein wild pochendes Herz
    nahm den Rhythmus der Silben auf. TÖTEN. TÖTEN. TÖTEN.
    Es war der grüngesichtige Wachtmeister, der das Licht auf
    dem Wasser am Ende des Tunnels zuerst bemerkte. Sofort rich-

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    tete er sich auf und gestikulierte zu dem Vorarbeiter – stumm
    und mit der ganzen Autorität, die er aufzubringen vermochte.
    Der zuckte nur die Achseln, doch gestärkt durch die Rückbe-
    sinnung auf seine polizeilichen Amtspflichten, schüttelte der
    Wachtmeister streng den Kopf und schwenkte gebieterisch den
    Zeigefinger in Richtung des fernen Lichts. Der Vorarbeiter zö-
    gerte kurz. Dann verdrehte er die Augen, löschte sein Licht und
    bedeutete den anderen, es ihm gleichzutun. Leicht nach hinten
    taumelnd, ohne es zu merken, schlug sich Rose schmerzhaft den
    Ellbogen an der Tunnelwand an, woraufhin der grüngesichtige
    Wachtmeister ihm die Laterne aus der Hand riss und die Blende
    vorschob. Es war jetzt stockfinster, doch Rose hatte noch immer
    die Worte vor Augen, die i
    n leuchtend rotem Staub in der Dun-
    kelheit geschrieben standen.
    TÖTEN. TÖTEN. TÖTEN.

    Die Stimmen waren leise, doch verstärkt durch das Echo in dem
    niedrigen Tunnel, konnte man die Worte deutlich verstehen.
    »Den Brief.«
    Und dann, geflüstert, im gleichen barschen Ton: »Du glaubst
    wohl nicht, ich bin so dumm, dir noch weiter hinterherzulaufen.
    Den Brief.«
    »Na, haben Sie Schiss?« Die zweite Stimme war derber, unver-
    kennbar die gedehnten Vokale, wie sie für die einfache Bevölke-
    rung Londons typisch waren. Doch die Drohung war eindeutig
    herauszuhören.
    »Wenn du den Brief nicht rausrückst, töte ich den Hund.«
    »Immer mit der Ruhe.« Ein leises Platschen, dann das Anei-
    nanderschaben von Ba
    »
    cksteinen. Na, was haben wir denn da?«
    »Gib her.«
    »Ein sehr interessanter Brief ist das. Wirklich, sehr interes-
    sant.«

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    »Hör zu, du dreckiger ...«
    »Bin zwar kein Anwalt, aber ich wette, so ein Brief kann je-
    manden ganz schön in die Bredouille bringen.«
    »Gib ihn her.«
    »Zuerst die Hündin.«
    Kurzes Schweigen.
    »Und dann?«
    »Gehört alles Ihnen. War mir ein Vergnügen, mit Ihnen Ge-
    schäfte zu machen.«
    Das a
    R scheln von Papier war im Rausche
    n des Wa s
    s ers kaum
    zu hören.
    »Da ist ja mein Mädchen.« Die zweite Stimme klang jetzt
    sanfter. Man konnte das Lächeln
    e
    gerad zu heraushören. »Da ist
    ja mein süßes Mädchen. Komm, gehen wir nach Hause.«
    Und dann, schroffer jetzt: »Hier lang.«
    Die Lichter flackerten. Dann das leise Plätschern von Schritten
    im Wasser. Absolut lautlos glitt der Vorarbeiter den Tunnel ent-
    lang, um die Verfolgung aufzunehmen. Plötzlich das Wispern
    von Metall gegen Metall. Der Vorarbeiter ersta rt
    r e.
    »O nein, ich glaube nicht«, zischte die erste Stimme.
    »Das würde ich sein lassen.« Die zweite Stimme klang jetzt
    heiserer, aber immer noch drohend, gespannt wie das Halseisen
    eines Henkers. »Wenn ich Sie wäre.«
    »Ach ja? Du bist aber nicht ich.«
    »Ich warne Sie, wenn Sie mir auch nur ein Haar krü m
    m en,
    wird sie Ihnen die Kehle durchbeißen.«
    »Nicht, wenn ich ihr zuerst die Kehle aufschlitze. Fühlst du die
    Klinge? Scharf, nicht wahr? Schneidet gut, wenn̕s drauf an-
    kommt. Ist gar nicht so schwer, jemandem die Kehle durchzu-
    schneiden. Eine fixe Handbewegung, dazu ein klein wenig mehr
    Druck. Wie wenn man Fleisch schneidet. Oder einen Hund aus-
    weidet.

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