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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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wusste,
    dass sie ein furchtbares Risiko einging; das Kind zur Welt zu
    bringen konnte sie zugrunde richten. Doch das drang nur vage
    in ihr Bewusstsein, so wie sie dank des Globus im Kinderzimmer

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    wusste, dass die Erde nicht flach, sondern rund war, auch wenn
    ihre Vorstellungskraft dafür nicht ausreichte.
    Es war ein wunderbarer Sommer. An den langen, blassblauen
    Abenden saß Polly mit den Kindern auf dem Sofa, bevor sie sie
    zu Bett brachte, legte die Arme um sie und erzählte ihnen mit
    leuchtenden Augen von dem Leben, das sie und William führen
    würden, sobald er zurückkehrte; von dem Heim, in dem sie
    wohnen würden, wenn er erst einmal aus der Armee entlassen
    war, von dem blumengemusterten Porzellan, das ihr Essgeschirr
    sein würde, und von den Namen, die sie ihren Kindern geben
    würden. Die Kinder des Doktors lauschten verzückt. Das vorige
    Kindermädchen hatte ihnen immer nur lehrreiche Geschichten
    erzählt, zum Beispiel von dem Mädchen, das auf die große Fa-
    milienbibel gestiegen war, um an ein Regal zu kommen, und
    dann gestürzt und an seinen Verletzungen gestorben war. Pollys
    Geschichten enthielten keine Belehrungen. Immer und immer
    wieder wollten die Kinder hören, wie sich Polly und William in
    Kew Gardens kennen gelernt hatten, obwohl sie doch selbst da-
    bei gewesen waren. Sie konnten gar nicht genug kriegen von
    dem schüchternen Soldaten mit den botanischen Skizzenbü-
    chern unterm Arm, der George geholfen hatte, seinen Reifen aus
    dem Gebüsch zu befreien, und schamhaft errötete, als Polly ihm
    für diese Gefälligkeit dankte. Sie schütteten sich aus vor Lachen
    bei der Vorstellung, dass er, in Liebe entbrannt zu dem hübschen
    Kindermädchen, ihnen heimlich in das große Gewächshaus ge-
    folgt war, bis er endlich den Mut aufbrachte, auf Polly zuzuge-
    hen und seinen Namen zu stammeln. Von dieser Version der Ge-
    schichte waren sie so begeistert, dass sie beschlossen hatten,
    einfach zu vergessen, dass es ja in Wirklichkeit Alice gewesen
    war, die den Soldaten beim Zeichnen im tropischen Gewächs-
    haus entdeckt hatte. Sie war auf ihn zugestürmt, hatte den wi-
    derstrebenden William mitgezogen und darauf bestanden, dass

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    er ihnen die detailgetreuen, wun

    derschönen Zeichnungen in sei-
    nem Skizzenbuch zeigte.
    »Und dann sagte George: ›Ach, übrigens ...‹«
    »Polly!«, protestierte Alice. »Du hast versprochen, nichts aus-
    zulassen.«
    Polly grinste. »Schon gut, Madame, nur keine Aufregung. Ich
    also zu ihm: ›Die Kinder sagen immer, ich hätte keinen blassen
    Schimmer von Pflanzern, darauf er: ›Ich kenne mich auch nur
    aus, weil ich einen guten Lehrer hatte.‹ Und ich wieder: Viel-
    leicht könnten Sie es mir beibringen?‹ Darauf hastig er: ›O ja!‹,
    und dann: ›Wenn Sie das wirklich möchten‹ – wie ein feiner
    Herr, nur eine i
    W nzigkeit zu
    e
    zög rlich, und dann wird er rot bis
    zu den Wurzeln seines goldblonden Haars.«
    Alice klatschte in die Hände. »Genau. Und dann hat George
    gesagt: ›Übrigens, sie heißt Polly‹, und er darauf ...«
    Sie sah George an, dann prusteten sie beide los und riefen im
    Chor: »Polygalaceae.«
    Das Kichern der beiden Kinder hatte William völlig durch-
    einander gebracht. Das Wort war ihm herausgerutscht. Denn bei
    dem Namen Polly war ihm Polygonaceae eingefallen, der botani-
    sche Name für Knöterichgewächse, und Polygalaceae, das waren
    die Kreuzblumengewächse. Beide Pflanzengattungen waren klein
    und robust, sie wuchsen auf Wiesen und Brachland; die Blüten
    der Kreuzblumen waren von überraschender Anmut, mit zar-
    ten weißen Blütenblättern, die aus dem glockenförmigen Blü-
    tenkelch wie ein spitzenbesetzter Petticoat herauswuchsen. Polly
    hatte breite, kräftige Schultern und auseinander stehende, kara-
    mellbraune Augen mit Flecken, golden wie Blütenpollen, aber
    ihre Taille und ihre Handgelenke waren schmal und zierlich. Sie
    roch nach zerknitterter Bettwäsche, nach Gras und Salz und ein
    wenig nach Karbolseife.
    Es war Polly, die William vorschlug, sie an ihrem freien Nach-

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    mittag vom Haus des Doktors abzuholen. Von da an verbrach-
    ten sie jeden Sonntagnachmittag zusammen, auch wenn Polly
    sich mit unbekümmerter Entschlossenheit gegen Williams Ver-
    suche sperrte, ihr ein paar botanische Grundbegriffe beizubrin-
    gen. Sie weigerte sich, eine Blume als ein Gebilde aus Kelch–,
    Blüten–, Staub- und Fruchtblättern zu betrachten und sie ent-
    sprechend den Besonderheiten ihres

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