Der Vermesser
he-
rauszog, hatte er eine große schwarze Ratte am Genick gepackt.
Quiekend wie kleine Ferkel rannten die anderen Ratten hektisch
im Kreis umher oder versuchten, sich zwischen den Fußboden-
dielen hindurchzuzwängen. Doch der Terrier achtete nicht wei-
ter darauf, sondern biss mit einer schüttelnden Kopfbewegung
einmal und dann noch ein zweites Mal so kräftig zu, dass Blut
über die weißen Wände der Arena spritzte. Eingesperrt in seinen
Kreidekreis, feuerte der Sekundant mit fuchtelnden Armen den
Hund an weiterzumachen. Der Terrier warf den Kopf ein letztes
Mal hin und her, bevor er die Ratte widerstrebend fallen ließ.
Die Ratte zuckte, ihr Schwanz zitterte, dann blieb sie reglos lie-
gen. An ihrem zerfleischten Hals schimmerte Blut, leuchtend
wie frische Farbe.
77
Im nächsten Augenblick packte der Terrier schon sein nächs-
tes Opfer. Diesmal war er schneller, schon schleuderte er die
tote Ratte fort und stürzte sich auf eine neue. Die Zuschauer
waren in höchster Erregung, der Sekundant schien außer sich.
Schweiß tropfte ihm von der Stirn, während er seine Befehle
brüllte, die borstigen Haare seines Pelzmantels standen hoch
wie die Stacheln eines Stachelschweins. Währenddessen fuhr
der Terrier mit seinem blutigen Gemetzel fort. Nur eines der
Biester machte ihm zu schaffen. Die Ratte wehrte sich verzwei-
felt in seinem Maul, wand sich hin und her und verbiss sich
in die Hundeschnauze. Irritiert durch diesen unerwarteten Wi-
derstand, zögerte der Hund, jedoch nur einen Augenblick. Mit
einem abrupten Schlenker des Kopfes schmetterte er die Ratte
mit voller Wucht gegen die Wand der Arena. Als sie zu Boden
fiel, hinterließ sie auf der weißen Fläche einen dunkelroten
Fleck .
»Aus!«
Als der Sekundant mit den Fingern schnippte, setzte sich der
Hund umgehend auf die Hinterbeine, das behaarte Maul blutver-
schmiert. Der Sekundant hob ihn über die Schranke und reichte
ihn seinem Besitzer, der ihm über die Ohren streichelte und zärt-
lich den Kopf kraulte, während sich ein Kreis von Bewunderern
um ihn scharte, um ihm und seinem Hund anerkennend auf den
Rücken zu klopfen. Der Hund keuchte glücklich und leckte sei-
nem Herrchen die Wangen. Fetzen von Fell und rohem Fleisch
steckten ihm zwischen den Zähnen. Auf dem blutverschmierten
Kampfplatz lagen die Rattenkadaver wie Dungfladen. Dazwi-
schen beschnupperten die noch lebenden Ratten gelangweilt die
Wände des Rings oder setzten sich auf die Hinterbeine, um sich
mit den Vorderpfoten das Gesicht zu putzen.
Als das Getöse abebbte, blickte Tom auf seine Hände. Er hatte
die Bretterwand des Rings so fest umklammert, dass deren
78
scharfe Kanten eine tiefe Spur in seine Daumenkuppen gegra-
ben hatten. Seine Handteller glänzten schweißnass.
»Sieh mal einer an. Na, gefällt dir der Kampf?«
Brassey stand dicht neben Tom, die Hände vor dem Bauch ge-
faltet, die Beine gespreizt. Hinter ihm packte der Gehilfe die Rat-
tenkadaver an den Schwänzen und warf sie in eine Ecke.
»Deine Ratten haben ja nicht gerade viel Widerstand geleistet,
was?«, höhnte Brassey. »Hätten sich auch gleich hinlegen und
sich selbst die Kehlen durchbeißen können. Wenn du dir einbil-
dest, ich würde einen Penny pro Stück für ...«
Brassey unterbrach sich, abgelenkt von der aufkommenden
Unruhe im Eingangsbereich. Plötzlich strahlten seine Äuglein
und wurden kugelrund, erhellte sich seine finstere Miene zu
einem süßlichen Grinsen. Er schob Tom beiseite und eilte den
Neuankömmlingen entgegen.
»Captain!«, säuselte er wie ein junges Ding. »Freut mich, Sie
zu sehen, mein lieber Freund. Herzlich willkommen auch Sie,
Sir«, fügte er an einen zweiten, ihm unbekannten Herrn ge-
wandt hinzu. »Wir haben heute Abend ein paar sehr tüchtige
Kampfhunde für Sie. Möchten Sie eine Wette abschließen?«
Der Captain nickte ungeduldig und reckte über Brasseys Schul-
ter hinweg den Kopf in Richtung Arena. Der Offizier war ein
Mann mittleren Alters, von gedrungener Statur, und ein dunk-
ler Backenbart überwucherte seine schmalen Lippen. Er trug die
höhnische Miene eines Menschen, der es gewohnt ist, unzu-
mutbare Befehle zu erteilen, doch ansonsten deutete nichts da-
rauf hin, dass er in Militärdiensten stand. So trug er auch keine
Hauptmannsuniform, sondern einen schwarzen Rock samt ho-
hem, gestärktem Kragen, der ihm, dem gereizt vorgeschobenen
Kinn und seiner Gesichtsröte nach zu schließen,
Weitere Kostenlose Bücher