Der Vermesser
Fratze, näherte
sich seiner Beute aber nur zaudernd, und als ihm eine Ratte ins
Gesicht sprang, zuckte er wie ein verschrecktes Kind zusammen
und lief Schutz suchend zu seinem Sekundanten. Der klatschte
wütend in die Hände und brüllte den Hund an, er solle endlich
kämpfen, aber all seinen Bemühungen zum Trotz konnte er in
dem Tier keinen Blutdurst wecken, es blieb ängstlich. Zwar un-
ternahm es ein paar matte Vorstöße, aber die Ratten hatten es
eingeschüchtert, und sie
n
wusste es. Gemeinsam gingen sie nun
gegen den Hund vor.
Zornig trat der Captain gegen die Brüstung und verlangte, der
Sache ein Ende zu machen. »Du verschwendest meine Zeit, Bras-
sey! Jedes Damenkränzchen wäre aufregender gewesen.«
»Aber nicht doch, mein Freund«, meinte der Wirt beschwich-
tigend. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. »Nur die Ruhe. Es
hat ja noch gar nicht richtig angefangen.«
128
Der Captain lachte höhnisch auf und griff nach seinem Hut.
Hinter ihm finge e
rt sein Begleiter an seiner Halsbinde herum,
während ein einfältiges Grinsen um seine Mundwinkel spielte.
»Komm, Henr «,
y
brummte der Captain. »So eine drittklassige
Arena werden wir uns nicht wieder antun.«
Endlich fand e
in echter Kampf statt. Die Zuschauer ver-
stummten, um alles genau zu verfolgen.
»Meine Herren, bitte, meine Herren. Überstürzen Sie nichts.«
Brasseys Äuglein irrten hektisch umher. »Ah, Tom! Hier, meine
Herren, hier haben wir eine Hündin, der Sie Ihre Aufmerksam-
keit schenken sollten. Sie hat noch nie zuvor gekämpft.«
Der Captain knurrte wütend und trat seinen Stuhl um.
»Zumindest nicht hier«, fügte Brassey hastig hinzu. »Aber im
Borough ist sie ein Ass. Richtig berühmt ist sie dort. Ein Phänomen. Stimmt̕s, Tom? Ihr zwei seid berühmt im Borough.«
Er zupfte Tom heftig am Ärmel. Tom erwiderte nichts, statt-
dessen streichelte er Ladys Ohren. Sie rieb den Kopf an seiner
Hand.
»Ein Phänomen?«, fragte der Captain verächtlich. »Diese Pro-
menadenmischung?«
Verhaltenes Gelächter hallte durch den Raum. Brassey schluck-
te, und seine Froschaugen traten noch weiter hervor. »Aber ge-
wiss. Hab selbst schon eine Menge Geld auf sie gesetzt, schon oft.«
Er leckte sich die Lippen, als er beflissen den Stuhl des Captain
wieder aufstellte und das Sägemehl von der Sitzfläche wischte.
»Komm schon, Tom. Zeig dem Captain, was für ein Prachtstück
sie ist.«
Der Captain zögerte. Dann warf er mit einem Achselzucken
seinen Hut auf den Stuhl nd
u
verschränkte die Arme vor der
Brust. Er setzte sich nicht.
»Also gut, zeig es mir, mit deinem Bastard«, meinte er gelang-
weilt. »Das Gemetzel soll beginnen.«
129
Eine neue Ladung Ratten wurde in den Ring gebracht. Ganz
ruhig löste Tom die Leine von Ladys Hals und umfasste mit bei-
den Händen ihre Schnauze. Sie blickte ihn mit ihren rosafarbe-
nen Augen unverwandt an. Dann hob er sie über die Brüstung.
»Was soll das?«, zischte Brassey mit puterrotem Gesicht. »Du
machst doch den Sekundanten, oder? Du musst mit in den
Ring.«
Aber Tom schüttelte den Kopf. »Nein. Sie mag das nicht.«
»In drei Teufels Namen, Mensch ...«
Ohne auf den Wirt zu achten, setzte Tom Lady sanft auf den
Boden. Die Leute im Publikum murmelten und schüttelten die
Köpfe. Der Captain sah finster drein. Einen Augenblick lang hielt
Tom die Hündin ganz ruhig fest, die Hände um ihren Brustkorb
gelegt, die Finger zwischen ihren Rippen. Ungeduldig klopfte
der Captain mit dem Fuß auf den Boden und trommelte mit den
Fingern an die Bretterwand. Brassey ballte die feuchten Hände
zu Fäusten und schloss die Augen. Dann richtete Tom sich auf
und faltete die Hände, ohne seinen Hund aus den Augen zu las-
sen. Auch Lady stand ruhig da und blickte aufmerksam auf den
kreischenden Haufen Ratten. Sie sah klein aus und sehr rosa.
Und dann, ohne einen Laut, machte sie sich ans Töten. Eine
Ratte nach der anderen biss sie tot, noch eine und noch eine, fast
ohne Atempause. Das Publikum starrte mit offenem Mund. Der
Captain hatte aufgehört zu trommeln und umklammerte den
Rand der Bretterwand. In seinen Augen leuchteten Gier und
Freude. Es dauerte nur wenig mehr als eine Minute, bis ein Dut-
zend verendender Ratten mit blutrotem Genick im Ring lag und
der weiß gestrichene Boden mit Blutspritzern übersät war. Als das
Ende des Kampfes ausgerufen wurde, stapelten sich die toten Rat-
ten wie schmutzige Sandsäcke an der Wand.
Weitere Kostenlose Bücher