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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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lassen.
    »Einhundert Guineen.« Der Captain blickte die Hündin fins-
    ter an, aber die Gier legte einen sanften Zug um seine Mundwin-
    kel. »Sie täte gut daran zu beweisen, dass sie es wert ist.«
    Einhundert Guineen. An jenem Abend trug Tom Lady, die
    sich an seine Brust schmiegte, den ganzen Weg nach Hause. Ein-
    hundert Guineen. Achtzehn in einer Minute waren ein harter
    Brocken, aber nicht unmöglich, nicht für Lady. Sie war kein ge-
    wöhnlicher Hund. Tom würde seine einhundert Guineen be-
    kommen, daran bestand kein Zweifel. Wen kümmerte es jetzt
    noch, wenn man der Königin von England unten in den Tun-
    neln einen Palast baute? Er würde dort nicht mehr hinunterstei-
    gen müssen, selbst wenn er noch ein Dutzend Jahre zu leben
    hätte. Einhundert Guineen! Der Gegenwert für Abertausende
    von Ratten, für jahrelanges Rattenfangen, sofern das überhaupt

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    möglich war – für einen einzigen Hund. Jemand hatte ihn mit-
    leidig angelächelt, damals, als er Lady vor dem Badger auflas.
    Wer hätte gedacht, dass jemand wie er ein solches Glück haben
    würde? Einhundert Guineen. Einhundert Guineen! Es war gera-
    dezu ein Wunder.
    In seiner Unterkunft teilten sich die beiden eine Schüssel Ein-
    topf. Da rührte sich in ihm auf einmal ein Gefühl der Angst.
    Vielleicht war es falsch gewesen, auf einem Monat zu bestehen.
    Das gab dem Captain genügend Zeit, es sich anders zu überle-
    gen, sich für einen anderen Hund zu begeistern. Tom schluckte
    schwer und nahm noch einen Bissen Brot. Andererseits kamen
    Hunde wie Lady nicht jeden Tag vorbeispaziert. Und er hatte
    Zeit, sie noch ein wenig mehr für den Kampf zu trainieren, da-
    mit ihm das Geld auch sicher war. In ein paar Wochen würde er
    seine hundert Guineen bekommen – einhundert Guineen! –,
    und der Captain, ja, der Captain würde Lady bekommen. Toms
    Hand wanderte wie von selbst zu der Stelle auf ihrem Bauch, an
    der sie gern gekratzt wurde. Sie räkelte sich wohlig und schloss
    die Augen. Beim Captain würde sie ein gutes Leben haben. Ein
    Einhundert-Guineen-Hund würde fürstlich leben und nur das
    beste Fleisch erhalten. Er versuchte zu vergessen, wie der Cap-
    tain Lady angesehen hatte, mit einer Gier, als würde er sie am
    liebsten fressen. Sehr wahrscheinlich würde er sie in seinem
    eigenen Bett schlafen lassen, damit sie vor Dieben sicher war.
    Einhundert Guineen. Er musste erkannt haben, dass sie der ge-
    borene Kampfhund ist.
    Soße tropfte von der Schüssel auf die blanken Dielen. Tom zit-
    terten die Knie. Es war ihr Gewicht, sie war zu schwer für seine
    alten Beine. Er stellte die Schüssel ab, und Lady streckte sich wie
    eine Katze zufrieden in seinem Schoß aus. Im Kerzenlicht wirkte
    sie rosafarbener denn je. Sie sah eigenartig aus, dachte er, und
    plötzlich verspürte er ein seltsames Würgegefühl, als wäre ihm

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    ein Stück Fleisch in der Kehle stecken geblieben. Er schluckte an-
    gestrengt, aber das Gefühl ließ nicht nach. Jetzt kitzelte es ihn
    auch noch in der Nase, und er rieb sie unwirsch an seinem Är-
    mel. Er hatte nie jemanden gebraucht, sein ganzes Leben nicht.
    Das Alleinsein war er gewohnt. Ihm war es immer recht gewe-
    sen, niemand zu haben, der von ihm abhängig war oder ihm zur
    Last fallen konnte. Für solche Dinge war er inzwischen zu alt.
    Und Lady, ja, Lady würde in der Welt ihren Weg machen. Nicht
    lange, und auch sie würde ein schmuckes goldenes Halsband
    tragen wie dieser ausgestopfte Siegerhund im Badger, vielleicht
    sogar zwei. Sie würde ein so luxuriöses Leben führen, dass sie
    nie aufhören würde, an ihr altes Herrchen in seiner schäbigen
    Unterkunft über dem Hinterhof in St. Giles zurückzudenken.
    Wahrscheinlich war es ihr ganz recht, ihn loszuwerden. Sie war
    zur Siegerin geboren, und er wünschte ihr alles Gute. Er hoffte
    wirklich, dass sie ihn nicht vergaß, den alten Tom, der ihr den
    Weg bereitet hatte. Er würde sie nicht vergessen. Niemals würde
    er sie vergessen. Er schlang die Arme um sie, so fest, dass sie im
    Halbschlaf nach ihm schnappte und sich aus seiner Umarmung
    wand. Er rührte sich nicht, bis die flackernde Kerze herunterge-
    brannt war und sich die letzte Wärme ihres Körpers aus seinem
    Schoß verflüchtigt hatte.

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IX

    W ir haben fünfzig Ziegeleien direkt hier in London, und Sie er-
    zählen mir, wir müssten unsere Backsteine wo holen?«
    »In Strowbridge, Sir. Das liegt in ...«
    »Wie oft muss ich Sie in dieser Angelegenheit noch

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