Der Verräter von Westminster
freudloses Lachen aus. »Nein. Er hat nie vergessen, wofür er sich eingesetzt hat. Er hätte sich unter keinen Umständen von etwas ablenken lassen, und wenn es noch so außergewöhnlich gewesen wäre. Warum fragen Sie?«
»Nun ja, sofern er wirklich geglaubt haben sollte, dass Cormac O’Neil die Sache in London eingefädelt und dafür gesorgt hat, dass man ihn der Unterschlagung bezichtigt, hätte er nie und nimmer gewollt, dass Cormac umkam«, gab sie zurück. »In dem Fall hätte er ihm ja nicht mehr sagen können,
wer seine Helfershelfer waren, auf welche Weise das Ganze durchgeführt wurde oder wo sich die Beweise dafür finden lassen. Es wäre …«
»Ich verstehe«, unterbrach er sie. »Ich verstehe. Sie haben Recht. Victor würde eine Rache nie über den Versuch stellen, seine Position wiederzuerringen, zumal in diesem Fall die beste Rache darin bestehen würde, zu zeigen, dass man ihm Unrecht getan hatte.«
»Dann muss jemand anders Cormac umgebracht und dafür gesorgt haben, dass es so aussieht, als sei er der Täter«, schloss sie. »Damit hätten sich diese Leute an ihm gerächt.«
»Ja«, stimmte er zu. Seine Augen leuchteten, seine Hände waren vollständig entspannt.
»Wären Sie bereit, mir zu helfen, festzustellen, wer der Täter war?«, fragte sie.
Er beugte sich in seinem Klubsessel ein wenig vor. »Haben Sie denn bereits eine Vorstellung, wer das gewesen sein könnte?«
Ihre Gedanken jagten sich. Was sollte sie antworten, einen wie großen Teil der Wahrheit preisgeben? Würde er sie überhaupt unterstützen können, wenn sie ihm nicht die ganze Wahrheit sagte?
»Ich habe mehrere Denkmodelle entwickelt, die aber alle keinen rechten Sinn ergeben«, wich sie aus. »Ich weiß zwar, wer Victor hasst, nicht aber, wer Cormac gehasst hat.«
Ein Ausdruck von Belustigung trat auf seine Züge und verschwand gleich wieder. Es sah aus, als verspotte er sich selbst.
»Ich nehme an, dass auch Sie es nicht wissen«, fuhr sie fort. »Sonst hätten Sie ihn wohl gewarnt. Aber vielleicht gibt es Dinge, die Sie im Rückblick besser einordnen können. Talulla ist Seans und Kates Tochter, die nach dem Tod ihrer Eltern außerhalb Dublins aufgezogen worden ist.« An seinem Blick sah sie sogleich, dass er das wusste.
»Ja, das arme Kind«, stimmte er zu.
»Das haben Sie Victor aber nicht gesagt, nicht wahr?« Es klang deutlicher wie ein Vorwurf, als sie beabsichtigt hatte.
Einen Augenblick lang senkte er den Blick, dann sah er sie wieder an. »Nein. Ich war der Ansicht, dass sie deswegen schon genug gelitten hat.«
»Ein weiteres Ihrer unschuldigen Zufallsopfer«, bemerkte sie in Anspielung auf das, was er während ihrer Kutschfahrt im Dunkeln gesagt hatte. Irgendetwas an dieser Äußerung hatte sie gestört, eine Resignation, die sie sich nicht zu eigen machen konnte. Alle Opfer gingen ihr nahe, allerdings führte ihr eigenes Land auch keinen Unabhängigkeitskampf, war nicht von einem fremden Volk besetzt, das teils Freund und teils Feind war.
»Ich fälle keine Urteile darüber, wer schuldig und wer schuldlos ist, Mrs Pitt, sondern entscheide lediglich, was nötig ist, und das auch nur dann, wenn mir keine Wahl bleibt.«
»Talulla war ein Kind.«
»Kinder werden erwachsen.«
Wusste oder erriet er, ob Talulla die Tat begangen hatte? Sie sah ihn unverwandt an und merkte, wie eine leise Angst sie dabei beschlich. Es erschreckte sie zu sehen, wie sehr er die Situation durchschaute und zugleich fähig war zu spotten. Doch dieser Spott, das erkannte sie jetzt, bezog sich nicht etwa auf ihn selbst, sondern galt ihr und ihrer Arglosigkeit. Offensichtlich war er ihr die ganze Zeit schon um einen Gedanken voraus gewesen. Sie hatte bereits zu viel gesagt, und ihm war klar, dass sie von Talullas Täterschaft überzeugt war.
»Und was wird aus solchen Kindern, wenn sie erwachsen sind?«, fragte sie jetzt. »Beispielsweise eine Frau, die bereit ist, ihrem Onkel ein Loch in den Kopf zu schießen, um sich an dem Mann zu rächen, von dem sie annimmt, dass er ihre Mutter verraten hat?«
Das überraschte ihn, wenn auch nur einen kurzen Augenblick lang, dann verschwand der Ausdruck von seinem Gesicht. »Natürlich denkt sie das«, gab er zur Antwort. »Sie kann sich nicht gut vorstellen, dass Kate freiwillig mit ihm gegangen ist, obwohl sie ihm möglicherweise sogar nach England gefolgt wäre, wenn er sie dazu aufgefordert hätte, wer weiß?«
»Sie?«, fragte sie sofort.
»Ich?« Seine Brauen hoben sich. »Ich
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