Der Verrat
Hausbesetzer.
Dann waren sie Mieter und hatten die entsprechenden Rechte.«
»Hausbesetzer haben kein Recht auf eine Benachrichtigung.«
»Nein. So was passiert alle Tage. Obdachlose ziehen in ein verlassenes Gebäude, und meistens kümmert sich kein Mensch darum. Also denken sie, das Haus gehört ihnen. Aber der Besitzer kann sie, wenn er sich die Mühe macht, mal vorbeizuschauen, ohne weiteres rausschmeißen. Als Hausbesetzer hat man keinerlei Rechte.«
»Und wie hat Devon Hardy herausgefunden, dass unsere Kanzlei daran beteiligt war?«
»Wer weiß? Er war nicht dumm. Er war verrückt, aber nicht dumm.«
»Kennen Sie den Zuhälter?«
»Ja. Vollkommen unzuverlässig.«
»Wo, sagten Sie, war das Lagerhaus?«
»Das Lagerhaus gibt es nicht mehr. Es ist letzte Woche abgerissen worden.«
Ich hatte seine Zeit lange genug in Anspruch genommen. Er sah auf seine Uhr, ich auf die meine. Wir tauschten unsere Telefonnummern aus und versprachen, in Verbindung zu bleiben.
Mordecai Green war ein warmherziger, mitfühlender Mensch, der auf der Straße arbeitete, um die Rechte seiner namenlosen Mandanten zu verteidigen. Sein Verständnis von Recht erforderte mehr innere Kraft, als ich je haben würde.
Auf dem Weg hinaus beachtete ich Sofia nicht, denn sie beachtete mich ebenso wenig. Mein Lexus stand noch am Straßenrand. Der Schnee lag bereits ein paar Zentimeter.
FÜNF
Im Schneetreiben fuhr ich durch die Stadt. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letztemal ohne Termindruck durch die Straßen von Washington gefahren war. Ich saß warm und geborgen in meinem schweren Luxuswagen, ließ mich einfach treiben und hatte kein Ziel.
In der Kanzlei würde ich mich für eine Weile lieber nicht blicken lassen. Arthur würde wütend auf mich sein, und außerdem würde ich die zahllosen unangekündigten Besucher ertragen müssen, deren erster Satz unweigerlich lautete: »Wie geht’s Ihnen?«
Mein Telefon läutete. Es war Polly, sie klang panisch. »Wo stecken Sie denn?«
wollte sie wissen.
»Wer will das wissen?«
»Eine Menge Leute. Arthur zum Beispiel. Rudolph. Dann hat noch ein Reporter angerufen. Ein paar Mandanten wollten einen Rat. Und Claire hat aus dem Krankenhaus angerufen.«
»Was wollte sie?«
»Sie war besorgt, wie alle anderen.«
»Mir geht’s gut, Polly. Sagen Sie, ich sei beim Arzt.«
»Und sind Sie beim Arzt?«
»Nein, aber ich könnte es sein. Was hat Arthur gesagt?«
»Er hat nicht angerufen. Aber Rudolph. Sie haben auf Sie gewartet.«
»Sie werden noch länger warten müssen.«
Sie zögerte und sagte dann ganz langsam: »Okay. Wann werden Sie voraussichtlich wieder hier sein?«
»Weiß ich noch nicht. Wenn der Arzt mich lässt. Gehen Sie ruhig nach Hause -
schließlich haben wir einen Schneesturm. Ich rufe Sie morgen an.« Damit legte ich auf.
Unsere Wohnung war ein Ort, den ich selten bei Tageslicht gesehen hatte, und die Vorstellung, am Kamin zu sitzen und zuzusehen, wie es schneite, gefiel mir nicht besonders. Und wenn ich in eine Bar ging, würde ich wahrscheinlich dort sitzen bleiben.
Also fuhr ich. Ich reihte mich ein in den Strom der Pendler, die ihren eiligen Rückzug in die Vororte, nach Virginia und Maryland, antraten, und als ich zurück in die Stadt fuhr, waren die Straßen fast leer. Ich fand den Friedhof beim RFK-Stadion, wo diejenigen beerdigt wurden, auf die niemand Anspruch erhob, und kam an der Methodist Mission in der 17th Street vorbei, von der unser ungegessenes Abendessen stammte. Ich fuhr durch Stadtteile, die ich noch nie gesehen hatte und wahrscheinlich auch nie wieder sehen würde.
Um vier war die Stadt praktisch menschenleer. Der Himmel hatte sich verdunkelt, und der Schnee fiel dicht. Er lag bereits mehrere Zentimeter hoch, und im Wetterbericht hieß es, es sei noch viel mehr Schnee zu erwarten.
Natürlich brachte nicht einmal ein Schneesturm die Arbeit der Kanzlei Drake & Sweeney zum Erliegen. Ich kannte Anwälte, die am liebsten sonntags oder spät in der Nacht arbeiteten, weil sie dann nicht von läutenden Telefonen gestört wurden. Ein Schneesturm war ein willkommener Aufschub der blödsinnigen Plackerei endloser Besprechungen und Telefonkonferenzen.
Ein Mann vom Sicherheitsdienst in der Lobby sagte mir, die Sekretärinnen und die meisten anderen Mitarbeiter seien um drei nach Hause geschickt worden. Ich fuhr wieder mit Misters Aufzug.
Ordentlich aufgereiht lagen mitten auf meinem Schreibtisch ein Dutzend rosafarbene Anrufnotizen, die mich jedoch
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