Der Verrat
gestellt.«
Hirata und seine Ermittler wechselten verwunderte Blicke. Der Leichnam, den sie in Fujios Sommerhaus gefunden hatten, war noch nicht eindeutig als der von Wisterie identifiziert. Außerdem waren die Beweise gegen Fujio entkräftet worden, da seine Familie und seine Freunde bestätigt hatten, dass er sich in der fraglichen Zeit fern vom Sommerhaus aufgehalten hatte. Und was Momoko betraf, gab es überhaupt keine Beweise für ihre Verstrickung in das Verbrechen. Was in aller Welt hatte Aoki vor?
Jäh begriff Hirata, was der Magistrat im Schilde führte. Aoki hatte nach reiflicher Überlegung erkannt, dass die Verurteilung von Schatzminister Nitta ein Irrtum gewesen sein könnte. Solange es andere Verdächtige gab, bestand die Möglichkeit, dass Sano einen von ihnen des Mordes an Fürst Mitsuyoshi überführen könnte. Und in diesem Fall müsste Aoki sich selbst wegen seines Fehlurteils vor Gericht verantworten. Deshalb wollte der Magistrat nun Fujio und Momoko ausschalten und auf diese Weise sämtliche anderen möglichen Täter beseitigen, falls der Shōgun zu dem Schluss gelangte, dass Nitta fälschlicherweise verurteilt worden war. Dann wäre Aoki in Sicherheit, denn Sano hätte keinen Grund mehr, seine Ermittlungen fortzusetzen. Und dank des zweiten Mordes hatte Aoki die Möglichkeit, seine unredlichen Ziele zu erreichen – auf Kosten zweier Menschen, die möglicherweise unschuldig waren. Hirata war empört.
»Um Unruhe zu vermeiden, werde ich auf die üblichen Formalitäten verzichten und die Fakten des Falles kurz zusammenfassen«, sagte Magistrat Aoki zu den Versammelten.
»Fujio hatte eine Liebesaffäre mit Wisterie, die er heimlich fortsetzte, nachdem er die Tochter des Besitzers des Großen Miura geheiratet hatte. Wisterie drohte, Fujios Schwiegervater von der Affäre zu erzählen, wenn Fujio sie nicht aus Yoshiwara freikaufte. Doch er hatte nicht genug Geld, um ihrem Verlangen nachzukommen, und er wollte seine Frau, sein Heim und seine Arbeit nicht verlieren. Dies aber wäre der Fall gewesen, hätte sein Schwiegervater von seinem Ehebruch erfahren. Daher beschloss Fujio, Wisterie zu töten und auf diese Weise zum Schweigen zu bringen.«
Hirata lauschte ungläubig. Auch wenn diese Geschichte sich glaubwürdig anhörte, brachte Magistrat Aoki keinerlei Beweise vor, um die Richtigkeit seiner Aussagen zu bestätigten. Er schien auch nicht die Absicht zu haben, Zeugen aufzurufen. Doch soweit Hirata wusste, gab es ohnehin keine.
»Fujio sagte zu Wisterie, er würde ihr zur Flucht verhelfen«, fuhr Magistrat Aoki fort. »Er mietete eine Sänfte und Träger, die vor den Toren Yoshiwaras warten sollten. Fujio hatte vor, Wisterie aus dem ageya herauszuschmuggeln. Die Wachen am Tor des Vergnügungsviertels würden sie gegen ein angemessenes Bestechungsgeld durchlassen. In der Sänfte sollte sie dann zu Fujios abgelegenem Sommerhaus gebracht werden, wo er sie umbringen konnte.«
Hirata wusste, dass Magistrat Aoki die Macht besaß, auf das gesetzliche Protokoll zu verzichten, wenn er wollte. Als er die Angeklagten betrachtete, regte sich sein Mitleid, obwohl die Möglichkeit ihrer Schuld durchaus bestand. Fujio saß ruhig und gelassen da. Momoko hingegen sah wie ein verwundetes Tier aus. Hirata konnte ihren raschen, pfeifenden Atem hören. Hier wurden zwei schlichte Bürger beschuldigt, gemeinsam einen dritten getötet zu haben. Fujio und Momoko hatten keine Macht, Widerstand zu leisten, und den bakufu interessierte es nicht, was mit ihnen geschah.
Von draußen drangen schrille Schreie und laute Schläge gegen die Tür des Gebäudes ins Innere, doch Magistrat Aoki nahm keine Notiz von dem Lärm. »Fujio kann dieses Verbrechen jedoch nicht selbst verübt haben«, erklärte er. »Er musste in jener Nacht im ageya auftreten. Das Risiko war zu groß, der Kurtisane seines Schwiegervaters bei der Flucht zu helfen, weil seine Affäre dann aufgeflogen wäre. Und der Auftritt verschaffte ihm ein Alibi für die Zeit, in der Wisterie verschwand. Deshalb suchte Fujio sich eine Komplizin.«
Der Magistrat zeigte mit seiner schrumpeligen Hand auf Momoko. »Diese yarite war eifersüchtig auf Wisterie und hasste sie. Momoko war ebenfalls eine Freundin von Fujio, und als er sie in seinen Plan einweihte, war sie nur zu gern bereit, ihm zu helfen. Während Fujio am Abend des Mordes auf dem Fest im ageya sang und Gedichte vortrug, schlich Momoko die Treppe hinauf und in jenes Gemach, in dem sich Wisterie und Fürst
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