Der Verrat
alles. Wenn du das machst, gebe ich dir etwas gegen die Schmerzen. Wenn du weiter lügst, dann breche ich dir auch noch das andere Knie.«
Rapp stieg über Milinkovich hinweg und verriegelte die schwere Tür. Er stieg die Treppe hinauf und ging am Pausenzimmer vorbei zu Colemans Büro. Als er eintrat, telefonierte Coleman gerade und bedeutete ihm, still zu sein.
»Irene«, sagte Coleman, »ich habe keine Ahnung, wo er ist.« Er hörte einige Sekunden zu und sagte dann: »Sobald ich etwas von ihm höre, sage ich ihm, dass er dich anrufen soll. Ich muss jetzt weg.«
»Was wollte sie?«, fragte Rapp. »Ist sie noch sauer wegen Gazich?«
»Nein. Ich habe sie danach gefragt. Sie sagt, sie macht sich keine Sorgen deswegen. Sie weiß, dass er der Richtige ist.«
»Wo ist dann das Problem?«
»Sie sagt, sie hat etwas, das sie dir zeigen muss.«
»Was?«
»Das wollte sie mir nicht sagen. Sie hat nur gemeint, dass sie dich unbedingt so bald wie möglich sprechen muss.«
»Sie hat nicht einmal angedeutet, worum es geht?«, fragte Rapp.
»Sie hat nur gemeint, dass es dir Antworten auf ein paar offene Fragen geben könnte.«
Rapp überlegte einige Augenblicke, worum es sich handeln könnte.
»Was wirst du machen?«, fragte Coleman.
»Ich rufe sie zurück.«
»Wann? Es schien ihr ziemlich wichtig zu sein.«
Rapp sah auf seine Uhr. Es war fast Mittag. »Heute Nachmittag. Ich muss erst noch einen alten Kontaktmann beim KGB anrufen, und dann will ich hören, was mir dieser Milinkovich noch zu sagen hat.«
»Wie wär’s mit Dr. Hornig?«
Rapp hatte schon überlegt, ob er sie einschalten sollte. Dr. Hornig war eine Psychologin, die die CIA mit der Befragung besonders wichtiger Gefangener betraute.
»Dieser Kerl ist vielleicht ein pathologischer Lügner, Mitch.«
»Ja, ich weiß.« Pathologische Lügner waren besonders schwierig zu verhören. Außerdem hatte Rapp keine Lust, den Kerl noch weiter zu quälen. »Ich spreche heute Nachmittag mit Irene, und dann melde ich mich bei dir.«
38
Washington D. C.
Mark Ross spazierte die Peacock Alley des Hotels entlang, wo sich Einheimische und Besucher der Hauptstadt einfanden, um zu sehen und gesehen zu werden. Das Willard Hotel war schon seit den Zeiten vor dem Bürgerkrieg ein Wahrzeichen von Washington. Ross genoss es, dass ihn die Leute erkannten, die hier ihren Nachmittagstee genossen. Hier hatten sich einst Persönlichkeiten wie U. S. Grant, Mark Twain und viele andere berühmte und auch berüchtigte Figuren der Geschichte getummelt. Digitalkameras klickten, Leute streckten die Hände aus, um ihn zu berühren, und ein paar besonders Kecke hielten ihn sogar auf und baten ihn um ein Foto. Am kühnsten war jedoch eine Frau mit einem lächerlichen roten Hut mit weißem Federbusch. Sie trat vor Ross hin, versperrte ihm den Weg und wedelte mit ihrem Handy. Ihre Tochter war am Telefon, und sie war ein großer Fan des zukünftigen Vizepräsidenten. Ross verbarg seinen Ärger und spielte mit. Seine Sicherheitsleute sahen missbilligend aus fünf Metern Entfernung zu. Ross hatte ihnen nochmals die Leviten gelesen, nachdem er sie schon einmal an diesem Tag angeschnauzt hatte. Sie sollten ihn einfach etwas mehr in Ruhe lassen. Es kam bestimmt niemand auf die Idee, einen designierten Vizepräsidenten zu ermorden.
Die treuen Anhänger der Partei nahmen die Stadt in Beschlag. Stündlich trafen ganze Flugzeug-, Bahn- und Busladungen ein. Der erste offizielle Termin war für heute Abend angesetzt, danach folgten dicht gedrängt Frühstücke, Mittagessen und Bälle. Die großen Veranstaltungen waren für Samstagabend vorgesehen: elf verschiedene Bälle mit Smokingzwang. Es gab kein Hotelzimmer in der Stadt, das nicht reserviert war. Nun war es also so weit – er wurde Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Ross konnte es kaum glauben. Er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann er zum ersten Mal davon geträumt hatte, in solche politischen Höhen aufzusteigen, aber er war sicher noch sehr jung gewesen. Für gewöhnlich träumte man nur vom allerhöchsten Amt – doch er erinnerte sich an eine Zeit, als er im Internat war und ein Buch über Teddy Roosevelt las. Der Mann war wirklich einer der ganz Großen. Ein Parteifreund von Ross hatte einmal über den einstigen Präsidenten gemeint, dass er bei der Durchsetzung seiner Ziele ziemlich rücksichtslos gewesen sei. Ross erwiderte damals: »Rücksichtslos oder nicht – sein Gesicht ist am Mount Rushmore verewigt.«
Die
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