Der Verrat
haben Sie bisher gehört?«
»Im Wesentlichen, dass der Kerl dem FBI praktisch in den Schoß gefallen ist – aber leider ohne echte Beweise.«
Ross nickte. »Sprechen Sie weiter.«
»Man hört von schwerwiegenden Problemen mit dem Fall. Es gibt Differenzen zwischen FBI und Justizministerium, und mit der CIA haben beide keine Freude. Die zypriotische Regierung wird Beschwerde bei der UNO einreichen, und offenbar weiß niemand, wo Mitch Rapp steckt, der, wie ich aus meinen Quellen höre, das Team angeführt hat, das den Mann geschnappt hat.«
»Das stimmt so weit«, bestätigte Ross, »aber es gibt noch einiges mehr. Rapp hat nicht nur das Team angeführt, er war es auch, der den Verdächtigen identifiziert, gefasst und gefoltert hat.«
»Haben Sie gefoltert gesagt?«, fragte Rich mit großen Augen.
»Wie würden Sie es nennen, wenn man einen Mann in beide Knie und beide Hände schießt?«
»Er hat ihm die Kniescheiben zerschossen?«
»Und ihm noch eine Kugel in jede Hand gejagt.«
Rich wandte den Blick nicht von Ross, während seine rechte Hand über die Seite flog. »Lassen Sie mich raten … er hat durch Folter ein Geständnis erzwungen?«
»Das weiß niemand.«
»Was sagt Rapp dazu?«
»Das weiß auch niemand, weil Rapp seit drei Tagen verschwunden ist. Rapp ließ sein Team den Kerl aus Zypern herbringen, er hat sich aber selbst noch nicht zurückgemeldet. Wir haben praktisch nichts über den Mann, abgesehen von dem, was Rapp sagt. Die zypriotische Regierung ist ziemlich verärgert. Und das State Department ebenso. Das Justizministerium sagt, dass sie nichts gegen den Mann in der Hand haben – aber jetzt kommt’s: Der Mann hat sich von sich aus einem Lügendetektortest unterzogen.«
»Und?«
»Er hat hundertprozentig bestanden.«
»Dann könnte er also tatsächlich unschuldig sein?«
»Das ist durchaus möglich, und selbst wenn er der Richtige wäre, hat Rapp die Sache ziemlich vermasselt, weil er ihn gefoltert hat. Dadurch hätten wir wahrscheinlich gar keine Chance, den Mann zu verurteilen.«
Rich schrieb fieberhaft mit. Diese Sache war ein Knüller. Eine Geschichte, mit der er alle Chancen hatte, seinen zweiten Pulitzerpreis zu gewinnen. Schließlich bremste er sich in seiner Euphorie und erinnerte sich daran, dass er Journalist war. Er blickte zu Ross auf und fragte: »Warum erzählen Sie mir das alles?«
Ross hatte diese Frage erwartet. »Als ich noch Direktor der National Intelligence war, habe ich Präsident Hayes gewarnt, dass Mitch Rapp ein Querulant ist. ›Sir‹, habe ich zu ihm gesagt, ›früher oder später wird er einmal etwas tun, was Amerikas Ruf in der Welt großen Schaden zufügen wird.‹« Ross lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Und jetzt ist es passiert. Präsident Hayes gibt sein Amt ab, und wir sind im Begriff, es zu übernehmen. Nun, ich kann es nicht zulassen, dass die neue Regierung für seine mangelnden Führungsqualitäten bezahlen muss.«
»Ich nehme an, Sie sprechen von Präsident Hayes.«
»Ja. Tom, ich kann es nicht oft genug betonen: das hier ist wirklich inoffiziell – also kein Wort, von wem Sie es haben.«
»Selbstverständlich«, versicherte Rich, während er fieberhaft weiterschrieb. »Dann ist das Ganze also Hayes’ Schuld?«
»So weit will ich nicht gehen. Sie müssen schon Ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen.«
»Wem geben Sie denn außer Rapp die Schuld an der Misere?«
»Seiner Chefin in erster Linie.«
»Irene Kennedy?«
»Ja.«
»Werden Sie eine Untersuchung fordern?«
»Das werde ich dem Justizminister und meinen früheren Kollegen im Kapital überlassen.«
»Ist die Annahme zulässig, dass Ihre Regierung einen personellen Wechsel an der Spitze der CIA anstrebt?«
Der Klang der Worte »Ihre Regierung« gefiel Ross außerordentlich. Daran konnte er sich gewöhnen. Er sah Rich mit ernster Miene an. »Direktor Kennedy und Mitch Rapp sollten schon einmal ihren Lebenslauf auf den neuesten Stand bringen.«
Rich lächelte, während er das wörtliche Zitat niederschrieb. Als er fertig war, zog er sein Handy hervor und blickte auf die Zeitangabe; es war genau 16:51 Uhr. »Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte er, »ich muss in der Redaktion anrufen, damit sie mir einen Platz auf der Titelseite freihalten.«
Ross nickte und verbarg seine Freude. Der Artikel würde enorme Wellen schlagen. Er wünschte sich nur, dass er Irene Kennedys Gesicht sehen könnte, wenn sie ihn las.
39
Langley, Virginia
Rapp fuhr in
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