Der Verrat
einem gemieteten weißen Van den Georgetown Pike entlang. Es war fast sieben Uhr abends, und das hieß, dass er zu dem Treffen mit Irene Kennedy zu spät kommen würde. Er war nicht scharf darauf, sich ausgerechnet in ihrem Büro mit ihr zu treffen, aber sie hatte darauf bestanden. Was sie ihm zu zeigen hatte, durfte das Haus nicht verlassen. Rapps Gedanken kreisten unentwegt um die Frage, was sie so Wichtiges in der Hand haben mochte. Dass sie über neue Informationen verfügte, erleichterte ihm auch den Entschluss, Milinkovich an Dr. Hornig zu übergeben.
Nach einem langen Nachmittag, an dem Milinkovich seine Geschichte immer wieder abänderte und wie ein kleines Kind schluchzte, kam Rapp zu dem Schluss, dass er es einfach nicht fertigbrachte, den Mann so zu verhören, wie es notwendig gewesen wäre. Coleman fühlte sich in Hornigs Gegenwart immer extrem unwohl, deshalb mietete Rapp noch einen Van und fuhr den Weißrussen selbst zu der Psychologin. Die Fahrt von Baltimore zu der geheimen CIA-Anlage im Norden von Virginia dauerte länger als vorgesehen, und Hornig wollte sich auch noch mit ihm unterhalten. Sie wollte jedes kleinste Detail über den Gefangenen wissen. Rapp berichtete ihr, was er herausgefunden hatte, übergab ihr Tonaufnahmen von den Verhören, die er durchgeführt hatte, und beeilte sich, von ihr wegzukommen.
Er bog von der Mautstraße ab und fuhr direkt zum Haupttor der CIA. Normalerweise hätte ein Mietwagen die Sache kompliziert, doch die Sicherheitsleute kannten Rapp, und so wurde er nach einem kurzen Blick in den Wagen durchgewinkt. Rapp stellte den Van auf dem Besucherparkplatz beim Haupteingang ab und eilte die Treppe hinauf und ins Gebäude hinein. Geradeaus auf der rechten Seite der Lobby waren ein Security Desk, Metalldetektoren und Drehkreuze installiert. Rapp hängte sich seine Kennmarke um den Hals und hielt sich auf der linken Seite, wo er an der nicht ganz lebensgroßen Statue von Wild Bill Donovan vorbeikam, dem legendären geistigen Vater der CIA. Er durchquerte einen kleinen Vorraum zur Linken und stieg ein paar Stufen hinauf, die zum Privataufzug des Direktors führten. Rapp nahm seine Kennmarke und hielt sie vor den Scanner. Im nächsten Augenblick ging die Tür auf, und er war unterwegs in den sechsten Stock.
Im Empfangsbüro war kein einziger Mitarbeiter mehr anwesend, nicht einmal Kennedys Bodyguards. Rapp klopfte zweimal an die schwere Tür und trat ein. Kennedy saß an ihrem Schreibtisch, den Telefonhörer am linken Ohr und ihre Lesebrille in der rechten Hand.
Sie lächelte Rapp kurz zu und sagte dann zu ihrem Gesprächspartner am Telefon: »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Er steht direkt vor mir.«
Rapp formte mit den Lippen lautlos die Frage: Wer ist dran?
»Einen Moment, bitte«, sprach Kennedy ins Telefon, drückte die Wartetaste und blickte zu Rapp auf. »Es ist Tom Rich von der New York Times.«
»Dieser verdammte kleine Verräter. Was will er?«
»Die Times bringt morgen eine Geschichte über uns. Er möchte uns die Chance geben, eine Stellungnahme abzugeben.«
Rapp sah auf seine Uhr; es war vier Minuten nach sieben. Sie würden ihre Ausgabe für die Ostküste bald fertig haben. »Worum geht es in der Geschichte?«
»Im Wesentlichen darum, dass du in Zypern den Falschen erwischt hast. Das Justizministerium, FBI, Außenamt, die Regierung in Nikosia – alle sind wütend auf uns, und wir beide werden nächste Woche gefeuert und können mit einer Anklage rechnen.«
»Was hast du dazu gesagt?«
»Kein Kommentar.«
»Gut.«
»Er hat auch gesagt, dass er gehört hat, du wärst untergetaucht. Wahrscheinlich ins Ausland geflüchtet, um der Strafverfolgung zu entgehen.«
»Nette Geschichte.« Rapp zeigte auf das Telefon. »Schalt den Freisprecher ein.«
Kennedy drückte den blinkenden Knopf. »Tom«, sagte sie, »ich habe Mitch Rapp hier in meinem Büro. Möchten Sie ihn etwas fragen?«
»Dann sind Sie also sozusagen aus der Kälte zurückgekommen?«, fragte der Journalist in amüsiertem Ton.
Rapp war Rich nur einmal bei einer Veranstaltung begegnet. Rapps verstorbene Frau hatte ihm den Journalisten vorgestellt. Als NBC-Korrespondentin im Weißen Haus hatte sie sich teilweise in denselben Kreisen bewegt wie Rich. »Was für eine Überraschung. Ich hätte nicht gedacht, dass ein strammer Linker wie Sie ein Fan von Le Carré ist.«
»Er ist mein Lieblingsautor. ›Der Spion, der aus der Kälte kam‹ – das ist das Beste überhaupt, und außerdem
Weitere Kostenlose Bücher