Der Verrat
Mauer. Andere waren nicht so eindeutig: eine Babyhand, die sich am Finger eines Vaters festhielt, ein zerstörtes Gebäude mit einem Mann, der davorstand und weinte, eine Gruppe von ganz in Schwarz gekleideten arabischen Frauen auf einer staubigen Straße. McMahon war schon oft in diesem Büro gewesen. Als grundsätzlich neugieriger Mensch hatte er Kennedy nach einigen der Fotos gefragt. Ihre Antwort war immer die gleiche. Sie lächelte einfach nur und wechselte sofort das Thema. Es wurde ihm bewusst, dass dies vielleicht die letzte Gelegenheit war, etwas über die Bedeutung der einen oder anderen Aufnahme zu erfahren.
»Das Foto von den arabischen Frauen in Schwarz – ist das Saudi-Arabien?«
»Nein. Jemen.«
»Warum hast du es gerahmt?«
»Es erinnert an die Unterdrückung der Frauen im arabischen Kulturkreis.«
McMahon nickte. »Das habe ich mir gedacht.«
Kennedy lachte.
»Was ist?«, fragte McMahon.
»Es hat eigentlich weniger mit der Unterdrückung der arabischen Frauen zu tun. In Wahrheit ist das ein Team der Delta-Force-Sondereinsatzkräfte – auf dem Weg zu einer Person, die – nun, sagen wir’s mal so – sich nicht an die Spielregeln gehalten hat.«
»Du willst mich verarschen?« McMahon stand auf, um das Foto genauer zu betrachten. »Auf wen hatten sie es abgesehen?«
»Das ist geheim.«
»Haben sie ihn erwischt?«
Kennedy nickte.
»Gut.« McMahon setzte sich wieder auf die Couch. »Also, worum geht es bei dem Treffen heute?«
»Kennst du Cap Baker?«
»Den republikanischen Politstrategen?«
»Ja.«
»Ist er der geheimnisvolle Unbekannte, dessentwegen du mich herbestellt hast?«
»Er versicherte mir, es sei ganz in deinem Interesse.«
McMahons wettergegerbtes Gesicht verfinsterte sich. »Warum zum Teufel sollte ich mich auch nur zwei Minuten mit diesem republikanischen Aasgeier zusammensetzen?«
Kennedy sah auf ihre Uhr und ging nicht auf die Frage ein.
»Warum ist er nicht einfach zu mir ins Hoover Building gekommen, wenn er etwas von mir will?«
Bevor Kennedy antworten konnte, klopfte es an der Tür. Im nächsten Augenblick ging sie auf, und Cap Baker trat ein. Wenn da nicht sein charakteristischer grauer Haarschopf gewesen wäre, hätten sie ihn möglicherweise gar nicht erkannt. Sie waren es gewohnt, ihn im Fernsehen zu sehen, wo er stets mit teuren Anzügen und ebensolchen Hemden und Krawatten auftrat. Es hieß, dass er für seine Beratungs- und Lobbying-Tätigkeit achthundert Dollar die Stunde kassierte. Heute Morgen war er jedenfalls mit Khakihose und kariertem Flanellhemd bekleidet. Unter dem Arm trug er eine dicke Winterjacke. Ein Mann im Anzug folgte ihm in den Raum.
»Tut mir leid, dass wir spät dran sind«, sagte Baker mit seiner tiefen Baritonstimme. »Die Straßen sind ein Horror.«
Kennedy stand auf, um ihre Gäste zu begrüßen. »Ist schon okay«, antwortete sie und streckte ihm grüßend die Hand entgegen. »Cap.«
Baker schüttelte ihr die Hand. »Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Ich weiß, das ist ein bisschen ungewöhnlich.«
McMahon stand auf, sagte aber nichts. Baker wandte sich dem FBI-Mann zu. »Ich verspreche Ihnen, Special Agent McMahon, ich werde Ihre Zeit nicht sinnlos vergeuden.« So als spüre er McMahons Verachtung, verzichtete er darauf, ihm die Hand zu reichen. Stattdessen zeigte er auf den Mann, der mit ihm gekommen war. »Das ist mein Anwalt, Charles Wright. Er wird nicht lange bleiben. Setzen Sie sich doch bitte.«
McMahon und Kennedy nahmen wieder Platz, während Baker und sein Anwalt sich auf zwei kleinere Sessel gegenüber von McMahon setzten. Kennedy zeigte auf die Kannen mit Tee und Kaffee auf dem Tisch, doch bevor sie etwas sagen konnte, lehnte Baker ab.
»Nein, danke. Ich muss mein Flugzeug nach Vail erwischen – raus aus der Stadt, bevor all die Verrückten zur Amtseinführung kommen.«
»Vail«, sagte McMahon mit gespieltem Interesse. »Ich hätte eher getippt, dass Sie Aspen bevorzugen.«
Baker lächelte. »Aspen ist der Skiort der Demokraten, Agent McMahon. Wir Republikaner fahren nach Vail.«
»Tja, man kann nicht alles haben«, bemerkte McMahon.
Baker sah den FBI-Mann mit einem amüsierten Lächeln an. »Sie gefallen mir. Sie sind wie ein offenes Buch. Sie kennen mich nicht, aber Sie können mich nicht leiden, und das ist in Ordnung, denn in fünf Minuten bin ich wieder draußen, und wir werden uns nie wiedersehen.«
»Wirklich?«, fragte McMahon amüsiert.
»Ja … und Sie werden dieses Treffen nie
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