Der Verrat
waren nun einmal schwer abzulegen. Sie wurden im Auto durchgeschüttelt, als sie auf der alten Kopfsteinpflasterstraße beschleunigten, und erreichten schließlich die Wisconsin Avenue, die fünf Blocks weit in beiden Richtungen für den Verkehr gesperrt war. Die Limousine verlangsamte ihre Fahrt vor der Rechtskurve, und der knapp 500 PS starke Motor ließ ein kräftiges Brummen vernehmen, als sie wieder Fahrt aufnahmen.
Rivera überblickte die Gesichter der Passanten, die stehen geblieben waren, um die Kolonne zu betrachten. Das alles war absolut normal. Ein Stück voraus, nicht einmal einen halben Block entfernt, fiel ihr ein Mann auf. Er war teilweise von einem Baum verdeckt und hielt irgendetwas in der Hand. Trotz der roten Baseballmütze und der Sonnenbrille, die der Mann trug, spürte sie eine gewisse Anspannung in der Art, wie er den Konvoi beobachtete. Plötzlich, fast so als wolle er sich vor jemandem verbergen, verschwand er hinter dem Baum. Bevor Rivera weiter darüber nachdenken konnte, erschütterte eine mächtige Explosion die Luft, die Limousine wurde hochgehoben, und es wurde schwarz vor ihren Augen.
1
Washington D. C. Januar
Irene Kennedy blickte von ihrem Büro im sechsten Stock auf die weiße Landschaft hinaus. Über Nacht waren zehn Zentimeter Neuschnee gefallen. Die Hauptstadt verwandelte sich in eine winterliche Märchenlandschaft, wenn es schneite. Meist war es ein feuchter schwerer Schnee, der alles zudeckte, jeden Ast, jede Statue und jede Parkbank. Es schien, als würde die Zeit in der Stadt stillstehen – und in gewisser Weise war es auch so. In der Pennsylvania Avenue saß ein Präsident, der kaum noch handlungsfähig war, und der designierte Präsident würde in einer Woche den Amtseid ablegen. Es war Tradition, dass in der Woche vor der Amtseinführung höchstens Begnadigungen ausgesprochen wurden. Anwälte, Lobbyisten und allerlei einflussreiche Leute kamen zum Präsidenten, damit er irgendwelchen Leuten vergab, die ein Verbrechen begangen hatten oder beschuldigt wurden, eines begangen zu haben. In der Politik wehte heutzutage ein rauer Wind, und manchmal reichte es schon aus, ein Freund des Präsidenten zu sein, um die ungewollte Aufmerksamkeit eines Staatsanwalts auf sich zu ziehen. So wurde es für scheidende Präsidenten zur Tradition, einen Zauberstab zu schwingen und diese rechtlichen Probleme verschwinden zu lassen. Diesem Präsidenten ging es jedoch hauptsächlich darum, einige Dinge ins Lot zu bringen.
Das war es, worum sich Irene Kennedy eigentlich hätte kümmern sollen – doch an solche Dinge dachte sie im Moment überhaupt nicht. Als Direktorin der Central Intelligence Agency hätte sie sich für eine Generalbegnadigung einsetzen sollen – für den Fall, dass irgendjemand schwerwiegende Anschuldigungen gegen die Agency erheben würde –, aber ihre Gedanken waren ausschließlich mit den gegenwärtigen Ereignissen beschäftigt. Die Übergangsphase zwischen zwei Präsidenten war immer eine gewisse Belastung – aber diesmal ganz besonders. Das Land stand ohne echte Führung da, bis die neue Regierung im Amt war, und das brachte eine gewisse Verwundbarkeit mit sich. Was die Sache noch verschlimmerte, waren Gerüchte, wonach die neue Administration in vielen Bereichen aufräumen würde. Das kam für Kennedy nicht wirklich überraschend. In dem Moment, als das Wahlergebnis feststand, war ihr bereits klar gewesen, dass sie ihren Job los war. Eigentlich hatte sie es schon einige Wochen vorher gewusst, als das Global Operations Center der CIA sie von dem Anschlag an jenem Samstag im Oktober informierte.
Die Wagenkolonne des Präsidentschaftskandidaten Josh Alexander war von einer Autobombe getroffen worden. Alexander und sein Vize waren mit Glück davongekommen. Ihre Limousine war von der Wucht der Explosion umgeworfen worden, aber die Panzerung des Fahrzeugs hielt der Belastung stand. Alexander blieb unverletzt, während Mark Ross eine ausgerenkte Schulter und eine Schnittwunde über dem linken Auge davontrug. Die zweite Limousine erwischte es bedeutend schwerer. Das vordere Drittel des Fahrzeugs wurde durch die Explosion zerrissen, sodass Alexanders Frau und drei Secret-Service-Agenten in den extrem heißen Gasen regelrecht verbrannten. Darüber hinaus wurden fünfzehn weitere Personen bei der Explosion getötet und fünfunddreißig verletzt, sieben davon lebensgefährlich.
Eine Splittergruppe der Al Kaida hatte in der Woche vor dem Anschlag angekündigt, dass sie auf
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