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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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hatte sie ihn jetzt studiert. Sie kannte jede Falte und jede Narbe – und da waren einige. Manche seiner Narben waren sichtbar, andere tief in die Seele gegraben. Sie waren zwar nicht offensichtlich, doch sie mussten einfach da sein. Niemand konnte ein so hartes Leben führen und völlig unversehrt bleiben.
    Sie hob die Sonnenbrille gerade hoch genug, um ihre grün-braunen Augen zu zeigen. Sie waren mehr grün als braun, was, so dachte sie, ein gewisses Problem war. Seine Exfrau – nein, das stimmte nicht, seine verstorbene Frau – hatte wunderschöne grüne Augen. Cindy Brooks hatte eines Abends den Fehler begangen, sie als seine Exfrau zu bezeichnen, worauf er sie auf dem Fußboden schlafen ließ. Brooks war erst seit fünf Jahren bei der Agency, Und sie betrachtete es als eine große Ehre, an der Seite einer Legende wie Mitch Rapp arbeiten zu dürfen. Zumindest hatte sie das so gesehen, als sie den Auftrag bekam.
    »Hör zu, du sturer Bock«, stieß sie zornig, aber leise hervor, während sie ihren gespielt verliebten Gesichtsausdruck beibehielt. »Du hast mich für die Sache ausgesucht. Ich soll deine Frau spielen. Wir sind in den Flitterwochen. Wenn zwei Leute auf Hochzeitsreise sind, dann küssen sie sich ziemlich oft, sie reden, halten Händchen … man sollte ihnen ansehen, dass sie sich lieben.«
    »Da hast du nicht unrecht.« Rapp wandte sich ihr zu, ohne das Café aus den Augen zu lassen. Er trug eine schwarze Persol-Sonnenbrille, durch die niemand seine Augen sehen konnte.
    »Niemand wird uns unsere Tarnung abnehmen, weil du mich überhaupt nicht ansiehst.«
    »In den Flitterwochen streiten sich die Leute ohnehin die meiste Zeit.«
    »Wir haben uns gestern gestritten.«
    »Gestern waren wir in Istanbul. Niemand hier weiß, dass wir uns schon gestritten haben.«
    »Ich habe deine schlechte Laune satt.« Sie nahm die Hand von seinem Bein und lehnte sich zurück. Im nächsten Augenblick verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. »Also gut, dann eben Streit.«
    Brooks stand so abrupt auf, dass sie sogar Rapp überraschte. Ihr Stuhl kippte um, und sie stemmte die Hände in die Hüfte. »Meine Mutter hat mir gleich gesagt, dass ich dich nicht heiraten soll!«, rief sie zornig und schnappte sich das Weinglas, das vor ihr auf dem Tisch stand.
    Rapp blickte durch seine Sonnenbrille zu ihr auf. »Setz dich hin!«, flüsterte er angespannt. »Du machst hier eine Szene.«
    »Ich weiß, dass ich eine Szene mache!«, rief sie erbost. »Genau das will ich auch. Du bist ein Idiot.« Schließlich hob sie ihr Weinglas mit großer Geste und goss den Inhalt über Rapps blaues Polo und seine Khakihose, um dann wütend auf die Straße zu stürmen.
    Rapp saß regungslos da. Die Leute an den Tischen ringsum verfolgten die Szene amüsiert. Es war ein furchtbares Jahr gewesen. Das schlimmste Jahr in seinem Leben. Jeden Abend, wenn er zu Bett ging, gab er sich die Schuld an ihrem Tod – und jeden Morgen, wenn er erwachte, hoffte er, dass alles nur ein Albtraum war. Das ungeborene Baby, das sie in sich getragen hatte, die anderen Kinder, die sie zweifellos gehabt hätten – all seine Träume und Erinnerungen zerplatzten in einem einzigen Augenblick, und er hatte nichts geahnt. Das war das andere Problem – die Sache, die ihn innerlich auffraß. Er war unachtsam geworden. Er hatte es zugelassen, dass sie ihn veränderte, dass sie ihn hoffen ließ, eines Tages anders zu sein. Ein anderer Mensch – kein Killer.
    Vielleicht hätte sie es tatsächlich geschafft, ihn zu einem anderen Menschen zu machen, wenngleich die Erfolgsaussichten eher gering gewesen wären. Er übte einen Beruf aus, den man nicht so einfach aufgeben konnte. Vor allem, wenn so viel auf dem Spiel stand. Er konnte die Vergangenheit nicht so einfach hinter sich lassen. Es gab immer wieder einen Auftrag, der noch zu erledigen war. Sie hatte gemeint, dass er die Arbeit an vorderster Front anderen überlassen solle. Er hatte sich die jüngeren Kollegen genau angesehen. Er hatte sogar mitgeholfen, einige von ihnen auszubilden, und sie hatten noch eine Menge zu lernen, bevor sie auch nur annähernd so gut waren wie er. Mit seinen neununddreißig Jahren stand er auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Seine Knie und sein Rücken waren nicht mehr so gut in Schuss wie früher, aber er hatte körperlich keine Schwierigkeiten, mit den Jungen mitzuhalten, die teilweise erst halb so alt waren. Was jedoch den Unterschied ausmachte, waren all die Jahre der Erfahrung.
    Wenn er die

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