Der Verrat
wann passiert war. Kurz und gut, die Experten im Justizministerium wollten keine derartigen Fragezeichen stehen lassen. Besonders wenn dadurch über viele Jahre hinaus irgendwelche Verschwörungstheorien genährt würden.
Rapp sah sich am Tatort um, mit einer Karte ausgerüstet, auf der alle Fußgänger und Fahrzeuge eingezeichnet waren, die sich an jenem Nachmittag im Oktober dort aufgehalten hatten. Von zwei Wohnhäusern auf der anderen Straßenseite waren nur Baugruben übrig. Die angrenzenden Gebäude zu beiden Seiten wurden gerade neu errichtet. Ansonsten sah alles relativ normal aus. Der riesige Krater in der Straße war aufgefüllt und gepflastert worden, und man hatte neue Bäume gepflanzt. Rapp fand den Baum, an dem laut Rivera der Unbekannte gestanden hatte, bevor es schwarz vor ihren Augen wurde. Die große Eiche stand noch da, war aber beschädigt. Auf der Seite, die der Explosion zugewandt war, fehlten große Teile der Rinde, und herumfliegende Trümmer hatten Narben in dem mächtigen Baum hinterlassen.
Außer diesem Baum gab es noch eine andere Sache, die Rapp zu denken gab. Wenn der Anschlag wirklich von moslemischen Fundamentalisten durchgeführt worden wäre, hätte man irgendwo eine Leiche gefunden – oder genauer gesagt, kleine Teile einer Leiche. Einen wahren Gläubigen, der sich voller Überzeugung für seine Sache geopfert hatte. Dass keine Leichenteile gefunden wurden, bedeutete, dass der Anschlag durch Fernzündung durchgeführt worden war. Hätte Rapp an dem Ort einen derartigen Auftrag zu erfüllen gehabt, so hätte er sich genau dorthin gestellt, wo Rivera behauptete, den Mann mit der roten Mütze gesehen zu haben. Das FBI und alle anderen Behörden konnten den ganzen Planeten nach den Terroristen absuchen, die sich zu der Tat bekannten, aber Rapp würde sich in eine andere Richtung orientieren. Er würde in der dunklen Welt der Auftragskiller suchen.
Es war eine Welt, die Rapp gut kannte. Wer laufend verdeckte Operationen durchführte, musste sich zwangsläufig mit Leuten abgeben, die es hinsichtlich Verschwiegenheit mit Schweizer Bankiers aufnehmen konnten. Im Wesentlichen handelte es sich um ein loses Netzwerk von ehemaligen Angehörigen eines Geheimdienstes, der Polizei oder der Streitkräfte. Viele dieser Leute arbeiteten für normale Sicherheitsfirmen. Diese Firmen übernahmen legale Aufträge und gaben nebenbei die Jobs, bei denen es darum ging, jemanden zu beseitigen, an Spezialisten weiter. Rapp schloss diese Firmen von Anfang an von seiner Suche aus. Ein Anschlag mit einer Autobombe auf einen Präsidentschaftskandidaten mitten in Washington käme für diese Leute nicht infrage. Es gab keine große Sicherheitsfirma und keinen ausländischen Geheimdienst, der sich mit einem solchen Auftrag die Finger verbrennen würde. Den Job musste ein kleinerer Mitspieler übernommen haben. Ein Einzelkämpfer oder eine winzige Firma mit allenfalls drei Mitarbeitern. Es musste außerdem jemand sein, der nichts dabei fand, Geld von Terroristen zu nehmen, und das engte den Kreis der möglichen Kandidaten erheblich ein.
All das ging Rapp durch den Kopf, als ihnen der erste große Durchbruch gelang und sie das Bildmaterial aus dem Starbucks-Café in die Hand bekamen. Sie hatten Hunderte von Videobändern aus Geschäften und Lokalen in Georgetown durchgesehen. Ein Computergenie in Langley namens Marcus Dumond hatte den Fehler bemerkt. Dumond hatte ein Computerprogramm geschrieben, das zusammen mit der Erkennungssoftware eingesetzt werden konnte, die sie bereits verwendeten. Die Tausende Stunden von Bildmaterial wurden mit dem neuen Programm bearbeitet, das speziell nach Baseballmützen suchte. Es gab über hundert Treffer, aber es war die Mütze im Starbucks, die zur fraglichen Zeit und zu Riveras Beschreibung des Mannes passte, den sie gesehen hatte. Sie bekamen zwar kein klares Foto des Verdächtigen, aber es war immerhin ein Anfang. Der Schirm der Mütze verdeckte den Großteil seines Gesichts, aber sie wussten jetzt, wie sein Mund und die Kinnpartie aussahen, und sie bekamen auch einen kurzen Blick auf seine Nase und den unteren Teil der Augen. Außerdem kannten sie seine Größe und sein ungefähres Gewicht.
Das Wichtigste für Rapp war jedoch, dass er jetzt wusste, wie sich der Mann bewegte, wie seine Körperhaltung war. Sie hatten siebenundzwanzig Sekunden Bildmaterial von ihm, auf dem zu sehen war, wie er sich anstellte, um seinen Kaffee zu bestellen. Dank der Zeitangabe auf dem Band
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