Der Verrat
meldete sich eine Frau, und Gazich sagte: »Andreas.« Er wartete, dass die Frau seinen Vermieter ans Telefon holte, und reihte sich bei den Taxis in die Schlange der Wartenden ein. Gazich hatte vor zwei Tagen mit dem Vermieter gesprochen und ihn gefragt, ob sich jemand nach ihm erkundigt hatte. Das war keine ungewöhnliche Frage. Gazich verreiste oft kurzfristig und war manchmal einen ganzen Monat fort. Diese Reise hatte ungewöhnlich lange gedauert, und Andreas hatte sich ein wenig besorgt gezeigt, als sich Gazich vor fast einem Monat zum ersten Mal gemeldet hatte. Er teilte seinem Vermieter mit, dass er in Darfur von übereifrigen Regierungssoldaten festgehalten worden wäre. Andreas ging es hauptsächlich darum, dass er die Miete regelmäßig bezahlte und sich von seinen Töchtern fernhielt. Der Mann hatte fünf Töchter, eine hübscher als die andere, die allesamt im Café arbeiteten. Gazichs Büro befand sich im zweiten Stock über dem Café. Wenn er in Zypern war, aß er fast jeden Tag im Café.
»Hallo«, meldete sich der Mann auf Griechisch.
»Hallo, mein Freund, wie geht es dir?«
»Ah … Alexander, bist du endlich wieder zu Hause?«
»Ja.«
»Gut. Kommst du heute zum Abendessen vorbei?«
»Ja.«
»Wann genau?«
»Gegen neun. Ich muss mich zuerst um ein paar Dinge kümmern.«
»Ich reserviere dir einen Tisch und eine Flasche von deinem Retsina.«
Bevor Gazich etwas antworten konnte, legte der Alte auf. Gazich starrte mit ausdrucksloser Miene auf das Handy hinunter und stieg dann in das wartende Taxi.
6
Zermatt, Schweiz
Ross hielt in einer Ecke des gewölbten Wohnzimmers Hof, mit dem Rücken zu dem riesigen Panoramafenster. Er sah aus, als stünde er am Altar einer dieser New-Age-Kirchen, in denen es mehr um Entertainment als um Religion ging. Ein groß gewachsenes Model hing an seinen Lippen, als Ross sich darüber ausließ, dass der Umweltschutz der Schlüssel zu einer Annäherung zwischen dem Nahen und Mittleren Osten und dem Rest der Welt sei. Eine Ansicht, die offenbar alle Anwesenden teilten. Überall sah man ernstes Kopfnicken, und einige kommentierten seinen Vortrag mit knappen Bemerkungen, doch im Wesentlichen war es Ross’ Show. Er war eindeutig der Mann der Stunde.
»Wie geht es dem Präsidenten?«, fragte das Model schließlich. Sie hatte einen holländischen Akzent.
»Dem gegenwärtigen oder dem neuen?«
»Dem neuen.«
Ross zögerte absichtlich ein wenig, ehe er antwortete. »Er … er hält sich gut. Er ist ein wirklich zäher Bursche.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, was das für ein Schmerz sein muss«, warf eine schlanke ältere Frau ein. Sie versuchte eine gewisse Traurigkeit auszudrücken, doch ihr frisch geliftetes Gesicht wirkte allzu maskenhaft.
»Sie scheinen sich wirklich geliebt zu haben«, fügte das Model hinzu.
»Ja, das stimmt. Sehr sogar.«
»Genug der Melancholie«, verkündete Speyer und bahnte sich einen Weg durch den Halbkreis. »Das ist eine Party, und was noch wichtiger ist – es ist meine Party. Also, amüsiert euch gefälligst.«
Die Gruppe entspannte sich ein wenig, und der eine oder andere lächelte. Einige der anwesenden Männer baten Speyer lachend um Verzeihung.
»Na schön, ich will noch mal nachsichtig sein, aber ab jetzt toleriere ich keine langweiligen oder deprimierenden Gespräche mehr. Amüsiert euch, sonst lade ich euch nächstes Jahr nicht mehr ein«, fügte er mit theatralischer Geste hinzu, und die Gruppe zerstreute sich, mit Ausnahme von Ross und dem Model.
»Es gibt da etwas, das ich dir gern zeigen würde, Mr. Vice President.«
»Und was wäre das, Joseph?«
»Mein neuer Weinkeller.«
»Darf ich Sie begleiten?«, fragte das Model hoffnungsvoll.
»Ich fürchte, das geht nicht, Schätzchen. Das ist nur für Jungs.« Speyer nahm Ross am Arm und führte ihn durch das Wohnzimmer. Ein paar Leute versuchten sie aufzuhalten, doch Speyer lächelte nur und ging weiter. Sie kamen auf den Flur, wo Special Agent Brown und zwei weitere Agenten bei der Haustür Wache standen. Die Sicherheitskräfte beobachteten, wie ihr Schützling und sein Gastgeber über den Steinboden schritten. Speyer öffnete eine Holztür, die so aussah, als würde sie zu einem Wandschrank gehören, hinter der sich aber in Wirklichkeit ein Aufzug verbarg.
Agent Brown wandte sich dem Mann zu seiner Linken zu. »Du hast mir nicht gesagt, dass es hier einen Aufzug gibt.«
»Ich habe nicht gewusst, dass das ein Aufzug ist«, rechtfertigte sich der Agent
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