Der Verrat
anboten? Die Antwort lag auf der Hand. Das Geld. Er hätte dem alten Grundsatz folgen sollen: Wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, dann hat es einen Haken.
Er musste auch an Andreas und seine Familie denken. Gazich vermutete, dass sie ihn unter Druck gesetzt hatten. Sie waren gute Leute, die von ehrlicher Arbeit lebten, und jetzt wurden sie in dieses tödliche Drama hineingezogen. Es wäre das Einfachste gewesen, die Insel zu verlassen. Er hätte gleich morgen früh mit der ersten Fähre Zypern verlassen und alles hinter sich lassen können – seinen Besitz und die Freundschaften, die er hier geschlossen hatte –, doch er war es leid, schon wieder wegzulaufen. Zehn Wochen lang hatte er jetzt alle paar Tage seine Sachen gepackt, um weiterzuziehen. Ja, es wäre vielleicht das Klügste gewesen, zu verschwinden, aber es wäre auch das Feigste gewesen.
Gazich war kein Feigling, das war er nie gewesen und würde es auch nie sein. Er wusste, dass er die Gefahr und das Abenteuer suchte. Dass er oft gerade den Weg des größten Widerstands ging. Das tat er schon allein, um seine Fähigkeiten auf die Probe zu stellen. Er wollte beweisen, dass er besser war als alle anderen. Dass er der wahre König des Dschungels war. In Washington war er auf Elefantenjagd gegangen. Hier in Zypern würde er den Spieß umdrehen und die Jäger zu Gejagten machen.
Es war ein Kampf ums Überleben. Nebenbei ging es aber auch darum, diese Männer zu töten, ohne sich von der hiesigen Polizei erwischen zu lassen oder auch nur ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auf eine Leiche mehr oder weniger, die im Mittelmeer versenkt wurde, kam es nicht mehr an. Andererseits konnte es vielleicht sogar gut fürs Geschäft sein, wenn man zwei Tote auf dem Bürgersteig vor Andreas’ Café fand. Wie auch immer, es ging letztlich darum, diejenigen zu finden, die ihn angeheuert hatten, und sie zu töten. Das war der einzige Weg, wie sich die Sache aus der Welt schaffen ließ. Das Schwierige daran war, dass er einen dieser Typen lange genug am Leben lassen musste, um etwas Brauchbares aus ihm herauszubekommen.
Gazich sah auf seine Uhr. Es war Samstagabend – und das bedeutete, dass es in den Tanzlokalen und Bars bald so richtig rundgehen würde. Wenn er ins Café kam, würde dort bestimmt einiges los sein. Diese Männer würden nicht einmal mitbekommen, was ihnen widerfuhr.
9
Kaum wurde es dunkel, erwachte die Altstadt zum Leben. Aus den Cafés dröhnte Musik, die Leute strömten in alle Richtungen, überquerten die Straße und wichen dabei den Mopeds und Autos aus. Man hörte Gelächter und angeregte Gespräche, während sich Paare und Gruppen anstellten, um in den verschiedenen Lokalen auf einen freien Tisch zu warten. Rapp ließ das Licht in seinem Zimmer ausgeschaltet. Das Fenster war eigentlich eine Balkontür, die sich nach innen öffnen ließ. Ein schwarzes, hüfthohes Geländer vermittelte die Illusion eines Balkons.
Um die Langeweile zu bekämpfen und wachsam zu bleiben, warf sich Rapp alle fünfzehn Minuten auf den Boden, um entweder Liegestütze oder Sit-ups zu machen. Die Alternative wäre gewesen, Unmengen von Kaffee zu trinken, doch das hätte zur Folge gehabt, dass er allzu häufig die Toilette aufsuchen musste. Er schleppte ohnehin noch ein paar überschüssige Kilos mit sich herum, nachdem er sechs Monate über die Stränge geschlagen hatte, und so entschied er sich für die Übungen. Immer wieder ließ er den Blick von einem Ende der Straße zum anderen schweifen und registrierte dabei jedes Fahrzeug und jeden Fußgänger. Besondere Aufmerksamkeit widmete er jenen, die das Café gegenüber betraten, und natürlich dem Mann, der immer noch im Auto saß. Vorhin hatte er auch die beiden anderen Männer gesehen, wie sie aus dem Aufzug in die Lobby des Hotels traten. Solange die Verstärkung nicht eingetroffen war, konnte Rapp nicht viel mehr tun als abzuwarten. Er hatte zweimal mit Coleman gesprochen, seit er und seine Männer gelandet waren. Er saß jetzt endlich im Wagen und war auf dem Weg hierher.
Rapp sah auf seine Uhr; es war acht Minuten nach neun. Sie sollten jeden Moment hier sein. Vom Ende der Straße ertönte eine Autohupe. Rapp wechselte auf die andere Seite des offenen Fensters und sah einen Mann und eine Frau mitten auf der Einbahnstraße stehen. Der Mann zeigte dem Fahrer des Wagens den Stinkefinger und rief ihm etwas auf Griechisch zu. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig trat ein junger Mann in Rapps
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