Der Verrat
bohrte sich in den Holzsessel, nur wenige Zentimeter von den Genitalien des Russen entfernt.
Der Mann riss die Augen weit auf vor Angst, und sein Mund klappte schockiert auf.
Rapp schaltete sein Handy stumm, trat zu dem Mann und steckte ihm den rauchenden Pistolenlauf zwischen die Beine. »Halt deine verdammte Klappe!«, knurrte er.
Der Russe schloss die Augen, wimmerte einige Momente und presste dann die Lippen zusammen.
Rapp hob die Stummschaltung an seinem Handy auf. »Beeil dich«, forderte er Coleman auf. »Ich brauche Hilfe hier oben.« Er beendete das Gespräch und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Als Erstes ging er zur Tür und beugte sich hinaus, um nach dem alten Mann zu sehen. Alles, was er erkennen konnte, war eine dunkle Masse am Ende des Ganges. Rapp hielt einige Augenblicke inne und überlegte, wie spät es gerade in Washington war. Zehn Uhr abends hier in Zypern bedeutete, dass es an der Ostküste vier Uhr nachmittags war. Irene Kennedy konnte überall sein – deshalb beschloss er, sie auf ihrem abhörsicheren Handy anzurufen. Er tippte die Landesvorwahl, die Vorwahl und schließlich ihre Nummer ein. Es begann fast augenblicklich zu klingeln.
Die Leute von der Abteilung Science and Technology in Langley rüsteten die ranghohen Mitarbeiter der Agency mit den sichersten Telefonen aus, die es gab, und installierten noch ihre spezielle Verschlüsselungssoftware. Sie stellten jedes Jahr, bisweilen sogar alle sechs Monate, neue Telefone zur Verfügung. Rapp verzichtete jedoch darauf, sie zu benutzen. Er traute den Dingern nicht, und das lag nicht daran, dass er Angst hatte, die Russen oder die Chinesen könnten ihn abhören. Was er am meisten fürchtete, war seine eigene Agency sowie die National Security Agency. Nur einige wenige wussten, was die NSA mit ihren Satelliten, ihren Abhörstationen und den acht Cray-Supercomputern, die in einem gekühlten Raum unter der Erde standen, alles anzustellen vermochte. Rapp wusste immerhin, dass sie Tag für Tag eine unvorstellbar hohe Zahl von Telefongesprächen abfingen, die aus dem Ausland in die USA geführt wurden. Besondere Aufmerksamkeit widmete man den Anrufen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die NSA agierte wie ein großer Fischkutter. Man warf die Netze aus, holte sie wieder ein und entschied dann, welche Fische man behalten würde. Nur dass es bei ihnen um Telefongespräche, E-Mails und andere Arten von elektronischer Kommunikation ging. Das Material wurde nach bestimmten Kriterien klassifiziert. So wie Fischer, die die für sie wertlosen Fische ins Meer zurückwarfen, versuchte auch die NSA mit immer besseren Methoden zu dem für sie interessanten Material zu kommen.
Im Zentrum ihrer Aufgaben stand das Entschlüsseln von Codes. Das war schon immer so gewesen und würde auch in Zukunft so bleiben. Die Milliarden von abgefangenen Botschaften waren wertlos, wenn man sie nicht zu entziffern vermochte. Rapp wusste, dass die NSA über Eliteteams verfügte, deren einzige Aufgabe darin bestand, Verschlüsselungssoftware zu knacken. Die Leute in der Abteilung Science and Technology in Langley waren wirklich gut – doch sie konnten sich nicht mit den besten Köpfen messen, die die NSA in ihren Reihen hatte. Aus patriotischer Sicht hätte einen das wohl kaum beunruhigen müssen – schließlich saß man im selben Boot, egal ob man bei der CIA, der NSA, im Pentagon, im Justizministerium oder beim FBI war. Alle Amerikaner arbeiteten zusammen im Kampf gegen den globalen Terrorismus.
Die Realität war jedoch weitaus komplizierter. Nur weil eine Regierung eine bestimmte Politik verfolgte, hieß das noch lange nicht, dass die nächste das Gleiche tun würde oder dass die opportunistischen Politiker im Kapitol nicht jede Gelegenheit ergreifen würden, sich in den Vordergrund zu drängen, indem sie beispielsweise eine Untersuchung von Rapps Arbeit forderten. Jemand, der regelmäßig die heikelsten verdeckten Operationen durchführte, verstand unter einer »angemessenen Vorgehensweise« oft etwas ganz anderes als etwa ein Angehöriger des Justizministeriums. Und dann waren da noch die Kämpfe um das Budget und die Verteilung der Kompetenzen innerhalb der Agency. In mancher Hinsicht war der Teil des Geschäfts, der sich im Landesinneren abspielte, gefährlicher als die Auslandsoperationen. Wenn er weit weg von zu Hause im Einsatz war, wusste Rapp wenigstens, wer seine Feinde waren. Im eigenen Land wurde die Sache durch die verschiedenen politischen und
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