Der Verrat
entwickelten eine bestimmte Routine, um ihren Alltag möglichst effizient zu gestalten. Rapp wusste das, weil er diese Tatsache schon öfter zu seinem Vorteil genutzt hatte. Die Leute wachten jeden Tag zur gleichen Zeit auf, oder zumindest von Montag bis Freitag; sie aßen immer in denselben drei oder vier Restaurants, absolvierten ihr Fitnesstraining immer im selben Club, normalerweise zu einer ganz bestimmten Zeit, und tranken ihren Kaffee immer in einem bestimmten Starbucks – für gewöhnlich in dem Café, das ihrem Büro am nächsten war. Natürlich musste es nicht unbedingt ein Starbucks-Café sein; es kamen auch Caribou und Seattle’s Best und einige andere Kaffeehausketten infrage, außerdem noch die unabhängigen Cafés, aber allein was die Anzahl der Lokale betraf, konnte sich niemand mit Starbucks messen. Amerika war eine Kaffeenation, und Washington als Hauptstadt bildete da keine Ausnahme.
Rapp wusste nicht, ob die Frau, die er suchte, Kaffeetrinkerin war oder nicht. Es bestand eine etwa zwanzigprozentige Chance, dass sie eine von diesen Yoga-Gesundheitsaposteln war. Sie wirkte auf jeden Fall sehr fit. Rapp hatte sie kurz nach dem Anschlag auf den Konvoi besucht, um ihre Version der Ereignisse zu hören. Er hatte damals mitgeholfen, einen Bericht für die CIA aufzusetzen – etwas, das man nicht mit den anderen Behörden teilen würde. Das FBI führte die offiziellen Ermittlungen durch, und der Secret Service hatte seine eigenen internen Untersuchungen bereits abgeschlossen. Rapp hatte diesen Bericht nicht gesehen, und er fragte sich, wie streng der Service mit seinen Leuten ins Gericht ging.
Rapp blickte nach Westen die I Street hinunter, und dann nach Osten, bevor er die Straße überquerte. Er betrat das Starbucks und ging zu der sauberen Theke hinüber, wo ihn eine junge schwarze Frau freundlich begrüßte und ihn fragte, was er wünsche – möglicherweise eine Spur freundlicher, als man es in Dumonds Café erlebte. Rapp lächelte und bestellte einen Espresso. Während sie den Kaffee einschenkte, sah er sich die beiden anderen Angestellten hinter der Theke an. Keine der jungen Frauen hatte ein sichtbares Tattoo, ein Piercing oder eine ausgefallene Frisur.
Als die Frau mit dem dampfend heißen Kaffee zurückkam, gab ihr Rapp drei Dollar und sagte, dass der Rest für sie sei. Sie wünschte ihm einen schönen Tag und fügte hinzu, dass er doch wieder mal vorbeischauen solle. Rapp bedankte sich lächelnd. Er hatte keine Lust, ihr zu sagen, dass er wohl kaum wiederkommen würde. Mit einer Serviette in der Hand ging er mit dem Kaffee zum Fenstersims hinüber, stellte den Becher hin, nahm den Deckel ab und legte ihn auf die braune Recycling-Serviette. Der Kaffee war gewiss so heiß, dass man ihn erst in ein paar Minuten trinken konnte. Rapp hatte sich bereits die Gesichter und die Körperhaltung der fünf anderen Gäste angesehen. Sie sahen alle ziemlich harmlos aus. Wahrscheinlich Buchhalter oder Beamte.
Rapp legte sein Telefon verkehrt auf die Theke und legte die SIM-Karte und den Akku ein. Er schaltete es ein, öffnete das Adressbuch und gab den Buchstaben W ein. Der erste Name, der erschien, war Jack Warch, der bis vor Kurzem das Sicherheitsteam von Präsident Hayes geleitet hatte, ehe er zum stellvertretenden Direktor des United States Secret Service befördert wurde. Rapp drückte die Anruftaste und hob das Handy ans Ohr.
Nach mehrmaligem Klingeln hörte er eine Stimme sagen: »Warch hier.«
Rapp hob seine freie Hand, um sich den Mund teilweise zuzuhalten. »Ich habe eine Bombe«, flüsterte er.
Es folgte eine lange Pause. »Wie bitte?«, fragte Warch schließlich.
Rapp murmelte eine rasche Sure auf Arabisch. »Ich habe eine Bombe«, wiederholte er.
»Sie haben eine Bombe?«, fragte die besorgte Stimme am Telefon.
»Ja.«
»Was haben Sie damit vor?«
»Ich schiebe sie dir in den Arsch«, antwortete Rapp und begann zu lachen.
Erneut schwieg Warch einige Augenblicke. »Bist du das, Mitch?«, fragte er schließlich. »Du Idiot.«
»Ach, komm«, beschwichtigte Rapp, immer noch lachend. »Ich will doch nur ein bisschen Schwung in deinen Arbeitstag bringen, jetzt, wo du ins Management gewechselt bist.«
»Sehr komisch.«
»Tut mir leid. Ich werd’s nicht wieder tun.«
»Wirst du sehr wohl, so wie ich dich kenne.«
»Wahrscheinlich, und es tut mir auch nicht leid.«
»Wo, zum Teufel, steckst du?«
Rapp blickte aus dem Fenster. Das Hauptquartier des Secret Service war nur wenige Blocks
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