Der Verrat
würde. Es war besser, sie zu überraschen, um eine ehrliche, unvorbereitete Reaktion zu bekommen.
31
Rapp trank seinen Kaffee aus, bevor er das Dojo betrat. Er wusste, dass es respektlos gewirkt hätte, in das Karatestudio mit einem Getränk hineinzuspazieren. Die Trainingshalle lag an der 13 th Street. In typisch amerikanischer Tradition konnten die Fußgänger draußen stehen bleiben und zusehen. Die Halle hatte zwei große Fenster mit einer Tür auf der linken Seite. Es gab zwei gute Gründe für die Fenster. Zum einen konnte sich so auch der Durchschnittsbürger ein wenig mit den Kampftechniken vertraut machen, was letztlich zusätzliche Kunden bringen sollte; zum anderen stellte es für die Trainierenden eine gewisse Ablenkung dar, an die sie sich zu gewöhnen hatten. Rapp stand einige Minuten am Fenster und sah zu, wie der Sensei mit seinen Schülern ein paar Routineübungen durchging. Acht Schüler bildeten Paare und übten Sanbon Kumite, das dreimalige Angreifen. Der Lehrer ging von einem Paar zum anderen und lobte oder korrigierte die Übungen. Das Ganze wurde eher zurückhaltend durchgeführt; niemand kämpfte mit letztem Einsatz oder begleitete seine Manöver mit lauten Kampfschreien.
Rapp erkannte Rivera sofort. Sie war kaum zu übersehen mit ihrem schwarzen Pferdeschwanz, der nur so durch die Luft wirbelte, während sie ihre Tritte anbrachte. So wie Warch es ihm gesagt hatte, trug sie den schwarzen Gürtel. Ihr Sparringspartner war etwa zehn Zentimeter größer und zwanzig Kilo schwerer als sie. Er war außer ihr der einzige Träger eines schwarzen Gürtels, und sie bearbeitete ihn, dass es zum Fürchten war. Rapp trank seinen Kaffee aus und lächelte, als sie eine blitzschnelle Kombination anbrachte, die ihren Gegner schließlich von den Beinen riss. Der Sensei trat dazwischen und sah Rivera missbilligend an. Rapp beobachtete überrascht, wie Rivera dem Lehrer etwas erwiderte, was dieser mit finsterer Miene aufnahm. Sein Gesicht rötete sich, und Rivera steigerte die Respektlosigkeit noch, indem sie dem Lehrer den Rücken zukehrte.
Rapp hatte als Junge so manche Prügelei mitgemacht, aber erst bei der CIA hatte er gelernt, wie man kämpfte. Sie brachten ihm Karate und Judo bei, und er erlernte beides ohne Mühe. Er fand die grundlegenden Techniken und die Disziplin zwar durchaus nützlich, spürte aber instinktiv, dass in der wirklichen Welt anders gekämpft wurde. Judo und Karate hatten einfach zu viele Regeln und Zwänge. Als er dann zu einer zusätzlichen Ausbildung nach Fort Bragg kam, absolvierte er einen Jiu-Jitsu-Kurs. Von der ersten Minute an wusste er, dass das, was er hier lernte, für eine reale Kampfsituation besser geeignet war. Während Karate vor allem mit Schlägen und Tritten arbeitete und Judo aus Griffen und Würfen bestand, wurde beim Jiu-Jitsu beides kombiniert. Außerdem setzte man auch die Knie und Ellbogen, Kopfstöße, Würgegriffe und noch einige andere Manöver ein. Rapp begann nun mit noch mehr Eifer zu trainieren und verbrachte sogar einige Monate in Brasilien, um Gracie-Jiu-Jitsu vom Großmeister Helio Gracie persönlich zu lernen. Später fügte er seinem Repertoire auch noch Thai-Boxen hinzu, konzentrierte sich jedoch vor allem auf Gracie-Jiu-Jitsu und brachte es bis zum dritten schwarzen Gürtel.
Rapp betrachtete durch die Glasscheibe den sichtlich erzürnten Sensei und fragte sich, ob er ihr eine Lektion erteilen würde. Mit diesen Lehrern war es so eine Sache. Sie sahen oft recht imposant aus in ihren weißen Gewändern mit dem schwarzen Gürtel, und sie verstanden ihr Handwerk, wenn es um die herkömmlichen Karatetechniken ging. Doch sobald es um Jiyu Kumite, um den Freien Kampf, ging, sah es schon etwas anders aus. Und wenn sie gar in eine Situation gerieten, in der alles erlaubt war, bekamen sie ernste Probleme mit ihrer engen, disziplinierten Auffassung des Kämpfens. Außerhalb ihres speziellen Gebietes war ihre Fähigkeit, den nächsten Schritt des Gegners vorherzusehen, gleich null.
Dieser Sensei schien in den Fünfzigern zu sein und sah so aus, als hätte er schon so manches harte Gefecht erlebt. Seine Nase schien schon einige Male gebrochen gewesen zu sein, und um die Augen waren Narben zu erkennen. Rivera drehte sich zu ihm um und stand steif da. Rapp wusste nicht, was der Lehrer zu ihr sagte, aber nach einigen Sekunden verbeugte sie sich und ging weg. Rapp lachte und beschloss hineinzugehen. Er warf den Kaffeebecher in den Abfalleimer bei der Tür und
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