Der Verrat Der Drachen: Roman
tot«, antwortete er mit tiefer, kehliger Stimme und stieß sie von sich, so dass sie mit der Frau hinter ihr zusammenprallte.
»Geh hinein.« Er sah über ihren Kopf hinweg, als sei sie nicht mehr da. Shaan rieb sich das Handgelenk. Dort, wo er sie gepackt hatte, war ihre Haut gerötet, aber sie sah kaum dorthin; sie hatte sein inneres Ringen gespürt. Er war nicht ganz ein Alhanti, aber er war auch kein Mensch mehr. Er war zwischen beidem gefangen.
»Kommt, Herrin.« Die Dienerin stieß sie an.
Shaan zog sich die Seide ihres Umschlagtuchs wieder um die Schultern und ging hinein.
Azoth war nicht da, dafür aber Alterin. Sie saß auf dem Kissenhaufen in der Mitte des Raums und starrte auf den steinernen Balkon und den Dschungel jenseits davon hinaus. Sie saß aufrecht da, aber Shaan sah die Erschöpfung auf ihrem Gesicht, Falten, die früher nicht dort gewesen waren, scharfe Kanten, wo die Haut ihres Kiefers sich über den Knochen zu spannen begann; sie hatte so viel Gewicht verloren.
»Alterin?«, fragte sie.
»Ich habe dich draußen gehört«, antwortete Alterin, ohne sie anzusehen. »Du solltest nicht mit ihm sprechen, es verstimmt ihn nur.«
Shaan trat weiter nach vorn, so dass sie die Seherin im Profil sehen konnte.
»Du siehst müde aus«, sagte Shaan. Alterins dunkle Augen waren glanzlos; die funkelnde Gewissheit, an die Shaan sich erinnerte, war so gut wie ausgebrannt.
»Warum bist du zurückgekommen?«, fragte Alterin. »Du solltest die Vier suchen.«
Shaan zögerte und ging weiter auf den Balkon zu, bis sie sicher war, dass ihr Gesicht sie nicht verraten würde.
»Ich bin mir nicht mehr sicher, ob die Vier die Antwort sind«, sagte sie. »Sie sind gefährlich.«
»Sie sind alle gefährlich.«
»Dann doch besser die Gefahr, die man kennt«, antwortete Shaan.
Alterin schwieg einen Moment lang und sagte dann leise: »Du fühlst dich jetzt eher wie er an; ich spüre dich unter meiner Haut wie ihn. Der Schöpferstein hat dich verändert.«
Shaan rang darum, ihren Gesichtsausdruck ruhig zu halten, als sie sich nach ihr umdrehte; sie verabscheute die Art, wie die Seherin sie ansah. Sie wünschte sich, sie hätte Alterin sagen können, wie froh sie war, dass sie noch am Leben war, dass sie sie immer noch als Freundin betrachtete und wie dankbar sie ihr für ihre Hilfe war, aber sie konnte es nicht. Azoth hätte es herausgefunden, und das durfte sie nicht riskieren. Sie ließ ihre Stimme kühl klingen.
»Ich kann dem Teil von ihm, der in mir liegt, nicht entkommen.« Sie hielt inne und sagte dann: »Es tut mir leid um Jared.« Sie wollte mehr sagen, fragen, ob auch Alterin spürte, dass er nicht wie die anderen war, aber der Kummer, der das Gesicht der jungen Frau verzerrte, brach ihr schier das Herz.
»Und was ist mit deinem Bruder?« Alterins Stimme war leise, aber der Vorwurf darin laut.
»Ich liebe meinen Bruder«, sagte Shaan. »Ich tue dies, damit er überlebt.«
»Niemand wird überleben, wenn Azoth siegt. So viele sind schon verloren.«
Shaan verschränkte die Arme vor der Brust und ging auf den Balkon hinaus. Sie stand im Nieselregen, ließ das Wasser über ihr Gesicht rinnen und ihr Kleid durchtränken.
Sie spürte ihn schon, bevor er etwas sagte; sein Blick glitt wie eine Liebkosung über ihre Haut.
»Willst du etwa die schönen Kleider ruinieren, die ich dir schenke?« Azoths Tonfall war sanft, aber auch spöttisch. Shaan schien ihn zu erheitern. Nachdem sie Alterins Leid gesehen hatte, hatte sie nicht den Wunsch, ihm entgegenzukommen.
Shaan wandte sich nicht um. »Warum hast du Jared zu einem Alhanti gemacht?«, fragte sie. »Ist dir keine andere Bestrafung eingefallen?«
Azoth antwortete nicht, und nach einem Augenblick drehte sie sich ungeduldig zu ihm um. Sein Gesichtsausdruck war verschlossen und bedächtig, während sein Blick über das Kleid huschte, das an ihr haftete.
»Weißt du, wie oft ich mir seine Seherin ins Bett geholt habe?«, fragte er. »Und jedes Mal, wenn ich sie genommen habe, habe ich mich gefragt, ob du wohl keuchen würdest wie sie.«
Shaan stockte bei seinen ungeschminkten Worten beinahe der Atem. Alterin? Er hatte … Ihr wurde übel, und Azoth bewegte sich plötzlich, so dass er vor ihr stand, sie an sich zog.
»Du bemitleidest sie?«, fragte er. »Und doch bist du zu mir gekommen, hast mich aufgesucht« – er flüsterte ihr ins Ohr – »und hast meine Hände in deinen Träumen auf dir gespürt.«
»Lass mich los!« Sie versuchte, sich ihm zu
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