Der Verrat: Thriller (German Edition)
ich weiß, ist das nicht gerade alltäglich in England.«
Stephanie starrte auf eine Stelle der Wand über Vivians Schulter. »Einen Moment lang begriff ich nicht, was ich da sah. Dieses glänzende Ding in seinen Händen. Er hielt es fast zärtlich. Dann dämmerte mir langsam, dass es keine echte Pistole war. Und, ja, ich hatte Angst. Und, ja, ich zeigte es. Er stand einfach da und kicherte.« Sie schüttelte den Kopf und zwang sich, Vivian in die Augen zu schauen. »Er war natürlich high. Was alles noch beträchtlich beängstigender machte.«
»Wie verhielt sich Scarlett?«
»Sie verdrehte die Augen und sagte: ›Verdammt noch mal, ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht mit dem Ding rumlaufen. Wenn ein Bulle dich damit sieht, kassiert er dich sofort ein.‹ Dann sagte sie, ich solle mich nicht aufregen, weil es nur eine Kopie sei. Was, wie sich erwies, typisch für Joshu war.« Sie seufzte. »Er stand immer nur am Rand der Action. Machte nie im Ernst mit. Er kannte die großen Dealer und Gangster, schmeichelte sich in ihren Kreis ein und bewegte sich nah am Rande der Legalität, aber er gehörte nicht wirklich zu ihnen. Und selbst wenn man annähme, dass er in der Lage gewesen wäre, etwas in Bezug auf seinen Sohn zu unternehmen, hätte diese Sache mit Jimmy doch nichts mit ihm zu tun. Scarlett und Joshu heirateten und waren schon wieder geschieden, bevor das Kind ein Jahr alt war.«
»Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Joshu sein Vater ist. Solche Gefühle sind tief verwurzelt. Oft leben sie später wieder auf. Wenn er es nicht ist, könnte es ein Familienmitglied sein, das in seinem Auftrag oder aus eigenem Antrieb handelt.« Vivian begann etwas auf ihrer Tastatur einzugeben.
»Sie verstehen das nicht. Jimmy existiert gar nicht für die Patels. Joshus Familie hasste Scarlett. Sie gaben ihr die Schuld an allem, was bei ihrem geliebten Sohn schiefging. Sie kamen nicht zur Hochzeit, besuchten sie nie zu Hause, und Scarlett betrat niemals ihr Haus. Soweit ich weiß, haben sie ihren Enkel niemals gesehen außer auf den Seiten eines Boulevardblatts.«
Vivian schüttelte den Kopf. »Trotzdem. Es ist die deutlichste Spur, die Sie mir bis jetzt gegeben haben. Wie heißt er mit Zunamen, dieser Joshu?«
»Patel. Aber …«
»Joshu Patel.«
»Eigentlich Jishnu, das ist sein richtiger Name. Er hat ihn aufgegeben, als er DJ wurde.«
»Okay. Dann also Jishnu Patel. Haben Sie seine Adresse? Geburtsdatum? Einzelheiten zur Familie? Alles, was uns helfen könnte, ihn zu finden.«
»Ich kann Ihnen genau sagen, wo Joshu jetzt ist«, sagte Stephanie müde. »Glauben Sie mir, mit der Sache hier hat er nichts zu tun.«
6
W enn ich an jene erste Begegnung mit Joshu zurückdenke, wird mir unwillkürlich bewusst, wie das Schlusskapitel in allen Aspekten schon seinen Schatten vorauswarf. Sein Bedürfnis, immer den großen Mann zu spielen. Die Art und Weise, wie er mit Drogen die Lücke zwischen der Realität und seinen Träumen überbrückte. Sein Unvermögen, sich der Herausforderung zu stellen und ein richtiger Mann zu sein.
Aber ich greife vor. Als mir klarwurde, dass Scarlett die Wahrheit sagte und ich mir von dem Schwachkopf mit der Pistole keine Angst einjagen zu lassen brauchte, erkannte ich Joshus Wesensart. In dem Moment damals war er für mich nichts weiter als eine Ablenkung, die mich irritierte. Ich hatte angefangen, eine innere Beziehung zu Scarlett aufzubauen, da kam er hereingelatscht und zerstörte die Stimmung. Mir war klar, dass ich in seiner Gegenwart keine weiteren Fortschritte machen konnte, um Scarletts Vertrauen zu gewinnen. Schon in diesem kurzen Augenblick war das offensichtlich. Sie hatte nur Augen für ihn, und er hatte nur Augen für sich selbst. Meine einzige Funktion in diesem Dreieck war, Joshu gut dastehen zu lassen, und damit brauchte ich mich noch nicht abzugeben. Ich wollte einiges von ihm erfahren, aber erst, wenn ich eine deutlichere Vorstellung davon hatte, wie er dazu beitragen konnte, dass Scarletts Geschichte ein Erfolg wurde. Das einzig Nützliche, was ich jetzt tun konnte, war, einen Zeitplan festzulegen.
»Klären wir doch ab, wann wir uns treffen können«, sagte ich und ging auf den Umkleideraum zu.
Scarlett folgte mir und befremdlicherweise auch Joshu. Ich zog den Vorhang der Kabine fest zu und bemühte mich, seine Versuche, die Situation in ein Sexspielchen zu verwandeln, zu ignorieren. »Nicht jetzt, Schatz«, sagte Scarlett immer wieder zwischen Herumbalgen und
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