Der Verrat
Richterin. Die haben normalerweise nicht so viel Zeit wie durchschnittlicheTeenager. Du bist nicht mal in der Sommerschule, obwohl ich dir ein paar ausgezeichnete Broschüren darüber in dein Zimmer gelegt habe. Und auf denTisch in der Diele. Und neben den Kühlschrank.«
»Vielleicht bin ich ja kein durchschnittlicherTeenager«, sagte Jamie sehr leise. Mae wandte sich um und rannte dieTreppe wieder hinauf in den Salon.
Annabel sah von ihrem Sessel auf, in dem sie mit einem Glas Eiswasser in der Hand saÃ, und bedachte Mae mit einem Blick, der ihr Haar, ihr T -Shirt und dieTatsache registrierte, dass sie offensichtlich eben erst aus dem Bett gefallen war, und lächelte sie dann wider besserenWissens an. »Guten Morgen, Mavis.«
»Jamie, tu das nicht«, bat Mae.
»Sind jemals in meiner Nähe merkwürdige Dinge passiert, als ich noch ein Baby war?«, fragte Jamie. »Sind Sachen kaputtgegangen oder durch die Luft geflogen?«
»Es gab mal eine Kinderfrau, die Zustände bekam«, sagteAnnabel. »Aber wir haben sie nach zwei Monaten gehen lassen, James, und du warst erst drei Jahre alt. Ich bezweifle, dass dich diese Erfahrung traumatisiert hat.«
Jamie holte tief Luft und sagte: »Ich war nicht traumatisiert, ich war dafür verantwortlich.«
»Jamie, tu das nicht!«, flehte Mae. »Nicht heute!«
»Mae, ich habe keineWahl«, erwiderte Jamie, ohne sie auch nur anzusehen. »Ich muss wissen, dass Gerald unrecht hat. Ich muss wissen, dass sie ⦠dass sie mich nicht â¦Â«
Er stand am Kamin, schmal und hoch aufgerichtet wie ein Soldat vor der Exekution. Mae konnte ihm nicht widersprechen, sondern nur zu ihm hinübergehen, um bei ihm zu sein, denn jemand musste bei ihm sein. Er musste wissen, dass sie immer bei ihm sein würde.
»Ich liebe dich«, sagte Jamie zuAnnabel. »Ich werde dich immer lieben, was auch passiert.«
Annabel bekam plötzlich rote Flecken auf beidenWangen, als hätte man sie geohrfeigt, doch sie sagte nichts.
»Hast du dich nie gefragt, ob ⦠ob irgendetwas an mir anders ist?«
»Hatten wir dieses Gespräch nicht schon, als du dreizehn warst?«, fragteAnnabel ein wenig hilflos. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst dir keine Gedanken machen deswegen.Auch wenn ich mir manchmal wünschte, du würdest weniger Haarprodukte verwenden.«
»Mum, bitte!«, flehte Jamie.
»James, ich weià nicht, was du von mir willst!«
James sah seine Mutter an, bleich und vollerAnspannung. Er sah aus wie ein Spieler, der eine Summe setzt, die er nicht hat. »Ich will, dass du mich nicht hasst, weil ich das hier tun kann«, sagte er und hob die Hand.
AnnabelsWasserglas flog ihr aus der Hand. Im Sonnenlicht, das durch die lichtenVorhänge schien, blitzte das Eis im Glas. Jamie lieà das Glas durch eine Handbewegung in der Luft kreiseln, sodass es wunderbar glitzerte. Es schien so einfach und Jamies Gesicht leuchtete auf, weil er sah, dass Magie so schön sein konnte.
»Ist das einTrick?«, fragteAnnabel kühl. Sie betonte jedes einzelneWort, als schnitte sie ihren Satz mit rücksichtslos gehandhabten Messern in Stücke.
»Nein«, antwortete Jamie. »Das ist Magie. Ich kann Magie wirken.«
»Soll das einWitz sein, Jamie? Ich finde das extrem geschmacklos.«
Annabels Stimme schwankte, als sie das Glas ansah und das offensichtliche Fehlen von Schnüren bemerkte. Die Hand, mit der sie es festgehalten hatte, schien zu akzeptieren, dass es nicht mehr da war und ballte sich zur Faust.
»Was soll ich denn sonst noch tun?«, fragte Jamie und das Glas fiel zu Boden. Es zerbrach nicht, aber die Eiswürfel sprangen heraus. Er hob die Hand zum Spiegel über dem Kaminsims und lieà ihn entzweibrechen und die Bruchlinie trennte Jamie undAnnabel im gespiegelten Raum voneinander.
Annabel sprang auf. EinenAugenblick lang schwankte sie, als lieÃen sie dieAbsätze, mit denen sie sich sonst so elegant bewegte, auf einmal im Stich. »Lass das!«
»Sag mir, Mum«, sagte Jamie unsicher, »wie denkst du jetzt über mich?«
DieVorhänge bewegten sich auf ihrer Stange hin und zurück wie lebendige Schlangen. Der Spiegel brach in winzige Splitter und schien gleich auseinanderzufallen.
»Ich sagte, lass das!«, schrieAnnabel. »Hör auf, dich wie ein Zirkusfreak aufzuführen!«
Urplötzlich wurde es still.
»Nun«, sagte Jamie so
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