Der Verrat

ist.«
    Â»Danke«, wiederholte Jamie, allerdings weniger überzeugend.
    Dann schwieg er. Nicks schwerer stoßweiserAtem war das einzige Geräusch imAuto. Mae betrachtete das abgebrochene Schwert auf demArmaturenbrett und Nicks gequältes weißes Gesicht im Rückspiegel.
    Sie waren noch nicht ganz aus London heraus, als sie die Grenze des magischen Kreises von Celeste überquerten. Sofort wurde NicksAtmung leicht und unbeschwert. Sein normales blasses Gesicht war so ein Gegensatz zu demAnblick, der sich Mae noch gerade eben geboten hatte, dass es so aussah, als hätten seineWangen Farbe bekommen.Als sie hinunterblickte, sah sie, dass sich seineWunde unter den blutigen und zerrissenen Sachen wieder geschlossen hatte.
    Â»Du siehst besser aus«, sagte sie lahm.
    Â»Ich fühle mich ganz gut.« Nicks Stimme war leise und klang zufrieden. »Ich gewinne gerne. Und ich habe dieser Magierin auch gesagt, dass ich gewinnen werde.«
    Aber er hatte nicht genau das gesagt, dachte Mae und sah aus dem Fenster, vor dem sich das graue Band der M4 erstreckte, das sie aufnahm und auf die Straße zurück nach Exeter führte, wo Gerald und seine Magier sie erwarteten. Sie waren der Lösung ihres Problems mit Gerald nicht näher, als sie es amAbend zuvor gewesen waren.
    Was Nick zu der Magierin Helen gesagt hatte war: Ich werde noch töten, lange nachdem du zu Staub geworden bist.
    Alans Hände umklammerten das Steuer, sodass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Im Spiegel sah Mae, wie Nick dieArme vor der Brust und über seinem blutigen Hemd verschränkte. Sie nahm dieTeile des zerbrochenen Schwertes und hielt sie aneinander, als ob das helfen würde. Doch sie wusste genau, dass es nur mithilfe von Magie wieder eins werden konnte.

8
    In zweiWelten
    D er nächsteTag war ein Samstag, und Mae ging zu Nick undAlan, um Nick seine erste Lektion in »Menschlichkeit« zu erteilen.
    Doch als sie ankam, stellte sie fest, dass sie keineAhnung hatte, wie sie das anstellen sollte.
    Das Haus, in dem die Brüder Ryves dieses Mal wohnten, lag noch weiter außerhalb als das letzte. Es war braun und gehörte zu einem Häuserblock, der aussah, als hätte ihn ein Riesenkind aus Matsch geformt. Das Haus vonAlan und Nick war das letzte in der Reihe und irgendjemand hatte dieAußenwand pink und grün angesprüht.
    Drinnen sah es hübscher aus. Der graueTeppich in der Diele rollte sich an den Ecken hoch, doch davon abgesehen gab es eine ziemlich große Küche, und darüber einWohnzimmer und ein Schlafzimmer, das sichAlan und Nick offensichtlich teilten.
    Mae hätte sich unwohl dabei gefühlt, sich ohneAlansWissen in seinem Zimmer aufzuhalten, und deshalb war sie froh, als Nick sie auf den Dachboden führte.
    Dort oben lagerten jede MengeWaffen und Bücher in Kisten und die Hälfte des Bodens war nur mit Glasfasermatten isoliert.Aber auf der anderen Hälfte lagen abgetretene Bodenbretter, und es gab sogar ein hoch angebrachtes, kleines Fenster, durch das das Sonnenlicht hereinfloss wie Honig.
    Mae setzte sich mit dem Rücken zurWand auf den Boden und sagte: »Ich habe versucht, mir einen Lehrplan für den Unterricht in ›Menschlichkeit‹ auszudenken, irgendeineArt von Plan, aber ich habe keinen. Mich hat niemand gelehrt, menschlich zu sein. Es ist mir einfach so zugeflogen. Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll.«
    Von Nick, der schweigend vor dem Fenster stand, erwartete sie eigentlich keineVorschläge.
    Aber er sagte: »Vielleicht können wir hiermit anfangen«, und warf ihr ein Heft vor die Füße.
    Mae starrte es einen Moment lang an und fragte sich, ob es eines von seinen war oder eines vonAlans, aber als sie es umdrehte, sah sie, dass kein Name darauf stand. Sie schlug das Heft auf und fand darin die Handschrift eines Erwachsenen.
    Â»Das ist dasTagebuch meinesVaters«, erklärte Nick.
    Fast hätte Mae das Heft fallen lassen. »Black …«
    Â»Nein! Ich meineAlansVater. Daniel«, warf Nick schnell ein. »Alan hat es mir gegeben, nachdem ich alles erfahren habe. Er sagte, es würde mir vielleicht helfen, es zu lesen, und das habe ich versucht, aber ich kann nicht lesen, wenn ich … verstört bin.«
    Daniel Ryves. Olivia hatte ein wenig von ihm erzählt. Sie hatte gesagt, niemand hätte es mehr versucht als er. Der Mann, der sie und Nick gerettet hatte, als sie zu ihm kam, der gestorben