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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Rees Brennan
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wir konnten einander heilen. Ich hatte wieder eine Frau und damit Hoffnung.
    Hätte ich es nur gewusst.
    Wä hrend ich in Olivias irre Au gen sah und träumte, hörte mein Sohn auf zu spielen und ging vom Feuer weg. Ich bemerkte nicht einmal, dass er auf das vermeintliche Lumpenbündel zuging. Ich bemerkte nicht, dass er es umdrehte, die Decke zurückschlug und das, was darin war, vorsichtig in seine kleinen Ar me nahm.
    Erst, als er sprach, nahm ich ihn wahr.
    Â»Sieh mal, Daddy!«
    Da erst, zu spät, drehte ich mich um. Ich wusste nicht, was ich da sah, aber plötzlich verspürte ich einen Schock und furchtbare An gst. Es war, als hätte ich in einem kritischen Moment weggesehen und mein Kind wäre ins Feuer gefallen und schrecklich verwundet worden.
    Ich sah meinen Sohn, Al an, meinen lieben Jungen, und in seinen Ar men ein We sen mit starren, furchteinflößenden schwarzen Au gen. Etwas, das sich nicht gerührt und nicht geschrien hatte, als Olivia es auf den Boden geworfen hatte.
    Â»Daddy«, sagte Al an strahlend. »Es ist ein Baby.«
    Hier endete der erste Eintrag. Unter die letztenWorte war eine deutliche Linie aus blauerTinte gezogen worden, die leicht ins Papier eingesogen war. Mae riskierte einen Blick auf Nick. Er stand vor derWand des Dachbodens und wegen der Dachschräge hatte er ein wenig die Schultern eingezogen. Er hatte sich nicht gerührt und sein Gesicht war so still und kühl wie immer.
    Â»Wie geht es dir?«, fragte Mae. »Wie fühlst du dich?«
    Gleich darauf wurde ihr klar, dass das wahrscheinlich die falsche Frage an Nick gewesen war, aber er begegnete ihrem Blick und antwortete ihr bereitwillig.
    Â»Ich bin überrascht.«
    Â»Ãœberrascht?«
    Â»Ja«, sagte Nick rau. »Ich hatte keineAhnung, wie er über mich dachte.Aber es ist natürlich logisch.«
    Es war logisch. Das kleine Papierheft fühlte sich schwer an in Maes Hand, als sie an den armen Mann mit der toten Frau und dem Sohn dachte, der plötzlich in Gefahr schwebte, und an ein schweigendes Kind mit leerenAugen. Sie konnte Nick nicht widersprechen und sie konnte nicht einmal Daniel Ryves dafür die Schuld geben.
    Er hatte jeden Grund gehabt, das Kind zu hassen.
    Â»Denk nicht schlecht von ihm«, befahl Nick. »Er hat mir nie gezeigt, was er von mir hielt. Ich habe immer geglaubt, dass er mich mochte.«
    Nick schien innezuhalten, und es klickte leise in seiner Kehle, als er schluckte, um die richtigenWorte zu finden. Mae sah hilflos zu ihm auf und wünschte sich, sie könnte in ihm lesen. Sie dachte, wenn sie nur wüsste, was in ihm vorging, könnte sie die Situation schon retten.
    Â»Komm«, sagte er schließlich, »ich bringe dich nach Hause.«
    Mae zögerte, doch dann sah sie, dass sich der Himmel draußen verdüstert hatte und das Licht langsam erstarb, bis der bislang graue Himmel einen stählernen Glanz annahm. Sie würde nur noch Zeit haben, sich schnell umzuziehen und etwas zu essen, bevorAlan sie zu Hause abholte, um mit ihr zum Jahrmarkt der Kobolde zu gehen.
    Sie gingen dieTreppe vom Dachboden herunter, deren altes Holz so abgetreten war, dass die Stufen leise ächzten, anstatt unter ihren Füßen zu knarren.
    Als sie in den Flur kamen, stand die Küchentür offen, sodass der Sommerwind hereinwehte. Mae dachte erst, dassAlan früher nach Hause gekommen war als geplant und dieTür offen gelassen hatte, und sie verspürte ein irrationales Gefühl von Panik, als wären sie bei etwas Schlechtem erwischt worden.
    Doch dann sprang Nick plötzlich los und die schmale Gestalt am Küchentisch drehte sich zu ihnen um. Es war nichtAlan.
    Es war Gerald.
    Â»Warte!«, rief Gerald.
    Nick hielt nicht inne, aber er machte einen Schlenker, sodass er Gerald umkreiste wie ein Raubtier, das auf den richtigen Moment wartet, statt gleich auf sein Opfer loszugehen.
    Â»Tut mir leid, dass ich hier so hereinplatze«, fuhr Gerald etwas weniger nervös und fast im Plauderton fort. Er schob die Hände in dieTaschen und zwinkerte langsam und freundlich, von Nicks finsterem Blick offenbar ungerührt.
    Mae hasste es besonders, wenn er sie mit seiner gespielten Höflichkeit verspottete. Sie hasste es, dass sie fast darauf hereinfiel.
    Â»Gar kein Problem«, entgegnete Nick. »Fühl dich wie zu Hause.Tut mir leid, dass ich so ein schlechter Gastgeber bin. Ich kann dir keine Erfrischungen anbieten und

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