Der Verrat
berührte.
Also setzte sie sich auf den Beifahrersitz undAlan stieg vorsichtig, einem uralten Mann ähnelnd, ein. Er lieà den Motor an, und als derWagen brummend zum Leben erwachte, legte Mae ihm ganz sachte die Hand auf die Schulter.
»Was hast du sie gefragt,Alan?«
Alan sah sie nicht an, sondern richtete den Blick über das Lenkrad hinweg auf den aschgrauen Himmel, aus dem die Dämmerung alles Blau gezogen hatte. Sein Gesicht hatte ungefähr dieselbe Farbe.
»Ich habe sie gefragt, ob ich mich darauf verlassen kann, dass Gerald seinenTeil derAbmachung einhält«, sagte er heiser. »Und sie hat gesagt, das könne ich.«
Mae hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand den Magen aus dem Leib gerissen. »DieAbmachung, bei der du deinen Bruder verrätst und ihn seiner Kräfte beraubst? DieseAbmachung meinst du?«
»Mae«, sagte er.
»Sind Dämonen nicht ⦠sind sie nicht Magie? Sie existieren allein durch ihre Macht. Du würdest ihm die Hälfte seiner Existenz rauben, mehr als die Hälfte. Du willst ihn in eine Kiste stecken und anfangen zu sägen? Ist es das?«
Es überraschte Mae fast, dass sie so wütend wurde. Noch eben war sie so erleichtert gewesen, ihn zu sehen. Es war einfach lächerlich, in einer Minute so erleichtert zu sein, dass einem schwindelig wurde, und gleich darauf so zornig, dass einem schwindelig wurde. Sie betrachtete ihre Knie, anstatt aus dem Fenster auf die Felder zu sehen, die an ihnen vorbeizogen, oder inAlans Gesicht.
»Und du würdest lügen, um ihm eine Falle zu stellen.«
»Ich lüge ständig«, sagteAlan ruhig.
Sie sah ihn an, und seine Hände umfassten das Lenkrad so ruhig, als ginge ihn das gar nichts an, als kümmere ihn das überhaupt nicht.
»Was ist zwischen dir und Nick in Durham vorgefallen?«, fragte sie. »Als dieser Sturm kam und die beiden Menschen gestorben sind? Manchmal kommt es mir so vor, als würdest du ihn jetzt hassen. Ist das so?Willst du dich für irgendetwas rächen?Was hat er getan?«
Alan hielt denWagen mit quietschenden Reifen mitten auf der StraÃe an, sodass Mae, die sich nicht angeschnallt hatte, nach vorne geworfen wurde. Sie biss sich auf die Zunge und schmeckte heiÃes, bitteres Blut.
»Ich will nicht darüber reden!«
»Nun«, sagte Mae, riss dieTür auf und sprang hinaus, wobei sie sich die Schulter anstieÃ, weil sie sich vorWut ungeschickt anstellte. » Ich will nicht länger in diesemAuto sitzen!« Mit einer Hand hielt sie sich an derTür fest, steckte den Kopf insAuto und sah den überraschtenAlan zornig an. »Ich wäre das Risiko, einen Dämon für dich zu rufen, nicht eingegangen, wenn ich gewusst hätte, dass du deinen Bruder verraten willst!«, sagte sie. »Ich hatte dich für einen besseren Menschen gehalten!«
Damit knallte sie dieTür zu und stapfte davon. Sie ging im StraÃengraben und war sich selbst noch nicht ganz klar darüber, dass sie eigentlich erwartete, dassAlan anhielt und mit ihr redete â bis sie hörte, wie er den Motor aufheulen lieÃ, und sie seine Rücklichter im grauenAbendlicht verschwinden sah.
Es waren nur zwei Meilen bis nach Hause. Mae senkte den Kopf, lief los und versuchte, sich aufs Laufen zu konzentrieren und nicht zu denken.
Es funktionierte ausgezeichnet. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie, als ihrTelefon klingelte, fast gegen einen Baum gelaufen wäre.
»Entschuldigung«, murmelte sie automatisch. Der Baum, da er ein Baum war, nahm ihre Entschuldigung nicht an.
Sie bedachte ihn trotzdem mit einem bösen Blick und starrte dann auf ihrTelefon, auf dem sie jemand anrief, dessen Nummer sie nicht erkannte.
»Was ist?«
»Hast du ein besseresAngebot bekommen?«
»Hä? Du Irrer â¦Â«, begann sie, doch dann erkannte sie, dass es unmissverständlich Nicks Stimme war, tief und ein wenig rau wie üblich, als hätte er gerade fünf SchluckWhiskey getrunken.
»Wenn du nicht herkommst, hole ich Jamie und fange an, mit ihm den Messerkampf zu üben.«
»O gut, du Irrer, den ich tatsächlich doch kenne und der meinen Bruder zerschneiden will«, sagte Mae. Sie hatte keine Lust, Nick zu sehen, nicht so kurz nachdemAlan ihr gesagt hatte, dass er seinen furchtbaren Plan tatsächlich durchführen wollte.
Ihr fiel wieder ein, wie sie geglaubt hatte, Nick wolle die ganze Stadt ausradieren. Sie
Weitere Kostenlose Bücher