Der verruchte Spion
hatte. Sie liebte jeden Einzelnen.
Diese Verräter.
»Ich kann nicht glauben, dass ihr mir das antut. Was würde Mama wohl sagen?«, murmelte Willa.
»Dass es höchste Zeit ist, Willa. Und jetzt lächle.«
Mit einem liebevollen Tätscheln ihrer Wange und einem tadelnden Kniff in den Oberarm schob Moira sie in Richtung Torbogen, wo vier Männer auf sie warteten: die Zwillinge von John und Moira, der Pfarrer von Edgeton und der Mann, der sich Nathaniel Stonewell nannte.
Krampfhaft umklammerte Willa ihren Strauß Wiesenblumen und schritt auf sie zu. Der traditionell zögerliche Gang der Braut zum Altar ergab in ihren Augen plötzlich Sinn.
Wer würde vor einem solchen Schritt nicht zögern? Für den Rest ihres Lebens wäre sie den Händen dieses Mannes, den sie nicht einmal kannte, schutzlos ausgeliefert.
Wahrlich, es waren große und wohlgestaltete Hände. Und er sah gut aus und machte einen gebildeten Eindruck. Vielleicht, ging es Willa durch den Kopf, hatte sie mit dieser Steinschleuder am Ende einen Glückstreffer gelandet.
Wenn er sie nur nicht im Schlaf ermordete oder an einen arabischen Scheich verkaufte.
Oder noch schlimmer: Wenn er nun schnarchte?
Nathaniel stand mitten auf dem Dorfanger und versuchte, sich nicht über die Verzögerung aufzuregen. Ungeachtet der Willkür der Eheschließung war dies ein überaus wichtiger Tag in seinem Leben. Die Mittagssonne schien auf den malerischen Dorfplatz, von den Bäumen zwitscherten die Vögel, und pausbäckige Kinder rannten lachend um den Torbogen. Es war ein lieblicher Tag für eine Hochzeit. Nathaniel fiel es nur schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es seine eigene war.
Dann wandten alle den Blick zu der in Satin gekleideten Gestalt, die über die Wiese auf ihn zukam. Ohne Zweifel, sie bot einen hübschen Anblick. Das kleine Fräulein vom Feldweg hatte sich auf ihre frische, ländliche Art herausgeputzt.
Er heiratete.
Es war selbstverständlich eine gänzlich ungesetzliche Verbindung, vor allem für jemanden seines Ranges. Das Aufgebot war nicht verlesen worden, es hatte keine delikaten Verhandlungen über die Mitgift oder das Erbe gegeben, niemand hatte die Möglichkeit gehabt, Einspruch zu erheben.
Ein Dorfgeistlicher und ein Brautstrauß aus Wiesenblumen mochten für das einfache Volk von Derryton genügen, das kaum mehr benötigte, als den erklärten Willen beider Partner, sich in der Ehe zu vereinigen. Aber seit vor mehr als fünfzig Jahren der Marriage Act erlassen worden war, konnte kein englischer Edelmann mehr ohne vorheriges wochenlanges Gedöns heiraten. Ein spontaner ländlicher gegenseitiger
Schwur galt kaum mehr als ein Verlöbnis, vergleichbar dem traditionellen gemeinsamen Sprung über den Besenstiel.
Dabei hatte er keinesfalls die Absicht, die Verbindung zu leugnen. Er hatte unabsichtlich den Ruf einer anständigen jungen Frau zerstört – in einem höheren Maß, als sie es begriff -, und er kannte seine Pflicht. Er würde sie heiraten, sobald sie in London angekommen und alle Vorkehrungen getroffen waren.
Aber er glaubte nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war, sie davon in Kenntnis zu setzen. Es fiel ihr so schon schwer, das Dorf zu verlassen, das konnte er sehen. Mit einer schniefenden »Braut« unterwegs zu sein war angenehmer – und wahrscheinlich auch schneller – als mit einer unwilligen, möglicherweise rebellischen Frau, die sich unter keinen Umständen an »Lord Treason« binden wollte.
Er hatte zugelassen, dass es passiert war. Deshalb lag es an ihm, die Sache zu bereinigen und der Frau dabei möglichst wenig zu schaden. Die beste Lösung war, nach London zurückzukehren, wo sein Reichtum, wenn auch nicht sein sozialer Stand, ihm die notwendigen rechtlichen Schritte ermöglichen würde, diese seltsame Verbindung endgültig zu schließen.
Er musste nur dorthin gelangen – offenbar mit seiner Braut im Schlepptau -, um den Schaden zu beheben. Letztlich würde ein Skandal wie dieser, dass er nämlich unter seinem Stand geheiratete hatte, niemanden schockieren. Sehr wahrscheinlich könnte er auch einen Orang-Utan aus der Königlichen Menagerie ehelichen, und die Leute würden lediglich weise den Kopf schütteln und behaupten, sie hätten ja schon immer gewusst, dass er ein Schlimmer sei.
Alle Leute außer den Bewohnern von Derryton. Tatsächlich hatten sie geradezu schockierend wenig Interesse an seinen Lebensumständen gezeigt. Und was war von dem jugendlichen Riesen zu halten, der niemals von seiner
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