Der Verschollene
Delamarche und Robinson und schienen sich über sie zu unterhalten. Aus einer Tür sprang noch ein ganz junges Mädchen mit glänzendem blondem Haar und schmiegte sich zwischen die zwei Frauen, indem es sich in ihre Arme einhängte.
„Das sind widerliche Weiber", sagte Delamarche leise, aber offenbar nur aus Rücksicht auf die schlafende Bru- nelda, „nächstens werde ich sie bei der Polizei anzeigen und werde für Jahre Ruhe von ihnen haben. Schau nicht hin", zischte er dann Karl an, der nichts Böses daran gefunden hatte, die Frauen anzuschaun, wenn man nun schon einmal auf dem Gang auf das Erwachen Bruneldas warten mußte. Und ärgerlich schüttelte er den Kopf, als habe er von Delamarche keine Ermahnungen anzuneh- men, und wollte, um dies noch deutlicher zu zeigen, auf die Frauen zugehn, da hielt ihn aber Robinson mit den Worten „Roßmann, hüte Dich" am Ärmel zurück und Delamarche, schon durch Karl gereizt, wurde über ein lautes Auflachen des Mädchens so wütend, daß er mit großem Anlauf Arme und Beine werfend auf die Frauen zueilte, die jede in ihre Tür wie weggeweht verschwan- den. „So muß ich hier öfers die Gange reinigen", sagte Delamarche, als er mit langsamen Schritten zurückkehr- te; da erinnerte er sich an Karls Widerstand und sagte: „Von Dir aber erwarte ich ein ganz anderes Benehmen, sonst könntest Du mit mir schlechte Erfahrungen ma- chen."
Da rief aus dem Zimmer eine fragende Stimme in sanf- tem müdem Tonfall: „Delamarche?" „Ja", antwortete Delamarche und sah freundlich die Tür an, „können wir eintreten?" „O ja", hieß es und Delamarche öffnete, nachdem er noch die zwei hinter ihm Wartenden mit einem Blick gestreif hatte, langsam die Tür.
Man trat in vollständiges Dunkel ein. Der Vorhang der Balkontüre – ein Fenster war nicht vorhanden – war bis zum Boden herabgelassen und wenig durchscheinend, außerdem aber trug die Überfüllung des Zimmers mit Möbeln und herumhängenden Kleidern viel zur Verdun- kelung des Zimmers bei. Die Luf war dumpf und man roch geradezu den Staub, der sich hier in Winkeln, die offenbar für jede Hand unzugänglich waren angesam- melt hatte. Das erste was Karl beim Eintritt bemerkte, waren drei Kästen, die knapp hintereinander aufgestellt waren.
Auf dem Kanapee lag die Frau, die früher vom Balkon heruntergeschaut hatte. Ihr rotes Kleid hatte sich unten ein wenig verzogen und hieng in einem großen Zipfel bis auf den Boden, man sah ihre Beine fast bis zu den Knien, sie trug dicke weiße Wollstrümpfe, Schuhe hatte sie kei- ne. „Das ist eine Hitze, Delamarche", sagte sie, wendete das Gesicht von der Wand, hielt ihre Hand lässig in Schwebe gegen Delamarche hin, der sie ergriff und küß- te. Karl sah nur ihr Doppelkinn an, das bei der Wendung des Kopfes auch mitrollte. „Soll ich den Vorhang viel- leicht hinaufziehn lassen?" fragte Delamarche. „Nur das nicht", sagte sie mit geschlossenen Augen und wie ver- zweifelt, „dann wird es ja noch ärger." Karl war zum Fußende des Kanapees getreten um die Frau genauer anzusehn, er wunderte sich über ihre Klagen, denn die Hitze war gar nicht außerordentlich. „Warte, ich werde es Dir ein wenig bequemer machen", sagte Delamarche ängstlich, öffnete oben am Hals paar Knöpfe und zog dort das Kleid auseinander, so daß der Hals und der Ansatz der Brust frei wurde und ein zarter gelblicher Spitzensaum des Hemdes erschien. „Wer ist das", sagte die Frau plötzlich und zeigte mit dem Finger auf Karl, warum starrt er mich so an?" „Du fängst bald an Dich nützlich zu machen", sagte Delamarche und schob Karl beiseite während er die Frau mit den Worten beruhigte: Es ist nur der Junge, den ich zu Deiner Bedienung mitgebracht habe." „Aber ich will doch niemanden ha- ben", rief sie, „warum bringst Du mir fremde Leute in die Wohnung." „Aber die ganze Zeit wünschst Du Dir doch eine Bedienung", sagte Delamarche und kniete nie- der; auf dem Kanapee war trotz seiner großen Breite neben Brunelda nicht der geringste Platz. „Ach Dela- marche", sagte sie, „Du verstehst mich nicht und ver- stehst mich nicht." „Dann versteh ich Dich also wirklich nicht", sagte Delamarche und nahm ihr Gesicht zwi- schen beide Hände. „Aber es ist ja nichts geschehn, wenn Du willst geht er augenblicklich fort." „Wenn er schon einmal hier ist, soll er bleiben", sagte sie nun wie- der und Karl war ihr in seiner Müdigkeit für diese viel- leicht gar nicht freundlich gemeinten
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