Der verschwundene Weihnachtsengel: Ein Weihnachtskrimi in 24 Kapiteln
alleine lassen!
An der Bushaltestelle holt sie ihn ein. Aber als Jakob Laura freudig umarmen will, wehrt sie ab. »Ich passe nur auf dich auf«, knurrt sie.
Am Marktplatz angekommen, ist dort nicht viel los. Denn es ist noch zu früh am Tag.
Die ersten Budenbesitzer öffnen gerade oder sortieren ihre Auslage. Die Luft ist lau. Statt Schnee nieselt ein zarter Regen aus einer grauen Wolkendecke. Wer nicht aus dem Haus muss, bleibt daheim. Jakob und Laura suchen sich einen Platz in der Nähe der Schäfchengasse.
»Die kommt heute nicht. Da kannst du warten, bis du schwarz wirst«, probiert Laura während des Wartens immer wieder, ihren Bruder nach Hause zu locken.
Doch Laura irrt. Es ist keine halbe Stunde vergangen, da tritt Frau Knukel aus ihrem Haus und setzt sich Richtung Kirche in Bewegung. Statt Lady hat sie ihren Trolley dabei. Vor dem Pfarrhaus hält sie inne. Die Tür wird geöffnet, Frau Knukel tritt ein. Nach wenigen Minuten tritt Frau Knukel wieder auf die Straße und bewegt sich Richtung Schäfchengasse.
Sofort steuert Jakob auf Frau Knukel zu, Laura folgt ihm. An der Haustür holt er sie ein. »Können wir Ihnen irgendwie helfen?«, fragt Jakob höflich.
Frau Knukel antwortet nicht. Sie schaut Jakob nur erschrocken an. Seine Frage scheint sie völlig zu überraschen. Erst nach einer kleinen Ewigkeit sagt sie leise: »Wenn es euch Kindern nichts ausmacht. Mein Trolley ist so schwer, ich bekomme ihn kaum die Treppen hoch.«
Laura wirft einen furchtsamen Blick auf Jakob. Aber dieser fasst bereits beherzt nach dem Wägelchen.
»Was ist denn da drin?«, will Laura ängstlich wissen. Doch sie erhält keine Antwort. Laura rührt sich nicht von der Stelle. Verzweifelt hält sie Jakobs Jacke fest. Doch im nächsten Moment wird Laura klar, dass sie von Frau Knukel nichts zu befürchten hat. Denn die alte Dame erklimmt die Treppen nur unter herzzerreißendem Schnaufen.
Langsam läuft Laura ihr hinterher. Endlich oben angekommen, nestelt Frau Knukel ihren Schlüssel aus der Manteltasche. Dabei fällt Lauras Blick auf ihre Hände. Jedes einzelne Fingergelenk ist dick geschwollen. »Was haben Sie denn da?«, fragt Laura erschrocken.
Frau Knukel seufzt: »Das ist Rheuma und tut sehr weh. Vor allem an den Knien und den Händen. Ich halte es manchmal kaum aus.«
Jakob geht ein Licht auf. »Laufen Sie deshalb immer so griesgrämig durch die Straßen?«, fragt er geradeheraus.
»Was meinst du?« Frau Knukel ist ehrlich erschrocken. »Ich bin griesgrämig?«
»Ja, Sie meckern immer vor sich hin!«, bestätigt Laura.
»O weh, o weh. Dann werde ich wohl langsam wunderlich«, murmelt Frau Knukel. Jakob und Laura sehen, wie ihre Augen für einen Moment feucht werden. Doch dann atmet Frau Knukel tief durch und öffnet die Tür. Lady springt ihr freudig, aber etwas schwerfällig entgegen und schleckt ihre Hände.
Jakob überkommt schreckliches Mitleid. Vorsichtig hilft er Frau Knukel aus dem Mantel und bugsiert sie zu einem Sessel im Wohnzimmer. Unter wohligem Seufzen sinkt sie nieder. »Danke, das tut gut.«
»Wohin soll ich jetzt mit dem Wagen?«, fragt Laura. Auch sie fühlt sich etwas kleinlaut. Niemals hätte sie vermutet, dass Frau Knukel einfach nur krank ist.
»Ja, richtig! Bringt ihn mal her«, sagt Frau Knukel. Sogleich schiebt Laura das Wägelchen ins Wohnzimmer.
»Da drin ist Feuerholz, richtig schöne Scheite. Ich bekomme sie immer vom Herrn Pfarrer«, erklärt Frau Knukel und zeigt auf einen Kamin in der Zimmerecke. »Wenn das Holz im Kamin knistert, dazu eine heiße Schokolade – dann fühle ich mich wohl.«
Jakob und Laura schauen sich scheu um. Die Wände sind vom Boden bis zur Decke mit Regalen bedeckt. Sie sind über und über mit Büchern gefüllt. »Sie lesen wohl gerne«, stellt Jakob fest.
»Oh ja, sehr gerne«, bestätigt Frau Knukel. »Aber mittlerweile sehe ich nicht mehr so gut. Die Augen! Trotzdem habe ich aber erkannt, dass du der Weihnachtsengel bist«, fährt sie plötzlich munter, an Laura gewandt, fort. »Wusstest du, dass ich auch einmal der Weihnachtsengel war? Das ist jetzt sechzig Jahre her!«
»Wirklich?« Laura strahlt.
»Ach, unser armer Weihnachtsengel, unsere arme Dorothea von Holdenstein. Hätte sie der böse Ritter von Rossau nur nicht entführt«, seufzt Frau Knukel.
»Entführt? Den Weihnachtsengel?« Jakob und Laura verstehen kein Wort.
»Aber kennt ihr denn die Geschichte nicht?«, fragt Frau Knukel verwundert.
»Nur die Kurzfassung«, erklärt Jakob. »Ich
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