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Der versoffene Papagei

Der versoffene Papagei

Titel: Der versoffene Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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hierher.«
    »Ich muß aber leider weg«, sagte ich.
    »Du bleibst da!« rief Tante Elena. »Du kannst doch nicht deine Braut hier einfach sitzenlassen.«
    Ich schaute nur Verna an.
    »Ich habe um neun Uhr im »Blauen Papagei< eine Verabredung. Ich bin im Begriff, einen Kerl zu fassen, der zwei Menschen umgebracht hat. Das ist leider wichtiger, als Ravioli zu essen. Du bist mir doch nicht böse, Liebling?«
    Verna schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Bei mir hast du mit diesen Dingen Glück, Tonio: ich bin das von Pa her schon längst gewöhnt.«
    Tante Elena aber stand wie eine Festung vor der Küchentür.
    »Mörder gehen dich gar nichts an«, sagte sie erbost. »Ich habe vor vierzehn Tagen sechshundertzweiundachtzig Dollar und vierundfünfzig Cent Steuern bezahlt. Ich finde, die Polizei soll sich ihre Mörder gefälligst alleine fangen. Du könntest viel lukrativer arbeiten, wenn du zum Beispiel ein Taxi...«
    Ich stemmte mich zwischen die Wand und Tante Elena und schob die alte Dame beiseite.
    »Ich bin kein Taxichauffeur und kein Philosoph, und was ich angefangen habe, das bringe ich auch zu Ende. Übermorgen fahre ich mit Verna in Urlaub, und übermorgen schalte ich alle Sinne aus, bis auf den Familiensinn. Aber heute abend noch keinen. Stell mir bitte eine Kanne Kaffee auf den Ofen und leg was Eßbares in den Kühlschrank — wenn es geht, irgendwas mit Fleisch dran.«
    Ich ging zu Verna, gab ihr einen Kuß, und dann sauste ich los.

    Um zwanzig Uhr fünfundvierzig bog ich in die Western Avenue ein, fuhr langsam an dem großen, blauleuchtenden Papagei vorbei und parkte hinter der nächsten Ecke. Um diese Zeit war hier noch nicht viel los; der Hauptrummel begann erst, wenn die Kinos aus waren.
    Der Portier hockte bei der Garderobenfrau und rauchte. Ich gab meinen Hut ab, steckte die Marke ein und ging die breite Marmortreppe in das Lokal hinunter, das im Keller lag.
    In der Mitte strahlte eine Tanzfläche aus blauem, von unten beleuchtetem Glas. Dahinter befand sich das Podium für die Musik. Die Musiker waren gerade dabei, ihre Instrumente auszupacken. An den beiden Längswänden waren Nischen mit etwa mannshohen Zwischenwänden. An der Rückwand jeder Nische stand eine kleine Couch, davor ein ovaler Tisch und drei bequeme, mit hellgrauem Plüsch bezogene Sessel. Die Rückwände der Nischen waren hell beleuchtete Vogelhäuser, die zum Lokal hin mit einer dicken Glasscheibe abgeschlossen waren, so daß man das Gekreisch der Vögel im Lokal nicht hören konnte. In diesen komfortablen Käfigen hockten Papageien aller Größen und Arten.
    Ich setzte mich zu einem Pärchen rosafarbener Molukkenkakadus . Die beiden schienen schon lange miteinander verheiratet zu sein, da sie ziemlich gleichgültig nebeneinander saßen und sich nichts mehr zu sagen hatten.
    Ein Kellner im Tropenfrack sagte guten Abend, wedelte mit einer Serviette über meinen Tisch und legte eine in gelbes Saffianleder-gebundene Getränkekarte vor mich hin.
    »Bitte Kaffee«, sagte ich. »Mit viel Zucker und noch mehr Sahne.«
    Ich konnte von meinem Platz aus den Eingang und einen Teil des Lokals überblicken. Auf meiner Seite saßen drei Mädchen, die anscheinend etwas feierten. Mir gegenüber knobelten vier heitere ältere Männer gerade die soundsovielte Runde aus.
    Genau um einundzwanzig Uhr kam May Wilson. Sie trug ein dunkles, enganliegendes Kleid mit viereckigem Ausschnitt. Ein kurzer Blick aus ihren blauen Augen streifte mich, dann setzte sie sich in eine Nische schräg gegenüber, so daß ich sie gut beobachten konnte. Sie drehte mir klugerweise den Rücken zu.
    Um einundzwanzig Uhr sechs begann die Musik zu spielen, und kurze Zeit später kam eine größere Gesellschaft herein.
    Während der Kellner meinen Kaffee servierte, beobachtete ich ihn. Er war etwa fünfunddreißig, rundlich-rosig, hatte glatt anliegende blonde Haare und gelangweilte, farblose Fischaugen.
    Zwei junge Männer betraten das Lokal, schauten sich um und setzten sich in Mays Nähe. Der Kellner ging zu Mays Tisch, und ich sah, daß sie miteinander sprachen. Der Kellner verschwand, und als er wiederkam, brachte er Kaffee für May. Sie redeten wieder ein paar Worte, und dann ging der Kellner an den Tisch, an dem die beiden jungen Burschen saßen. May drehte sich ein wenig zur Seite. Sie öffnete einen weißen Briefumschlag und schaute hinein. Sie machte das absichtlich so, daß ich es sehen konnte.
    Ich riß ein Blatt aus meinem Notizblock und schrieb ihr ein paar Worte auf.

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