Der verwaiste Thron 02 - Verrat
antwortete nicht. Trotz des Lärms, der sie umgab, zog sich die Stille in die Länge. Schließlich stand der Bootsbauer auf und warf die Melonenschalen in den Fluss. »Wir sollten uns nur nicht erwischen lassen, das ist alles.«
»Erwischen lassen?«, sagte jemand. »So reden Diebe, keine Krieger. Seid ihr Diebe?«
Schwarzklaue sah sich um. Er brauchte einen Moment, bis er Daneel auf einem der äußeren Flöße entdeckte. Er hockte dort und hatte den langen schwarzen Mantel, den er stets trug, eng um sich geschlungen, so als wäre ihm kalt. Schwarzklaue fragte sich, wieso er den Menschen so deutlich hören konnte, obwohl er fast einen Speerwurf weit entfernt war.
»Warum beleidigst du uns?«, rief er. »Du weißt, dass wir Krieger sind.«
»Ich beleidige dich nicht«, sagte Snellig. Schwarzklaue ignorierte ihn.
»Das dachte ich auch«, hörte er Daneel antworten, »aber vielleicht war das ja ein Irrtum, und ihr seid doch nur feige Diebe, die sich vor dem Kampf fürchten.«
Schwarzklaue stieß sich vom Steg ab. Er sprang über die Flöße, als wären sie Steine in einem Bach. Drei Sprünge brauchte er, dann landete er vor Daneel. »Gefällt es dir nicht mehr, deinen Kopf auf den Schultern zu tragen, Mensch?«
Daneel stand auf. Er musste sich auf eine Kiste stützen, sonst wäre er nicht hochgekommen. Seine Haut war blass und spannte sich über die eingefallenen Wangen.
»Ich mag meinen Kopf, wie er ist«, sagte er. »Du würdest mir doch nie weh tun, oder? Wir sind Freunde, du und ich. Und Freunde sagen sich die Wahrheit.«
Schwarzklaue griff nach Daneels Kragen und zog den Menschen zu sich heran. Er war leicht und raschelte wie alter Schnee, der von den Berggipfeln ins Tal geweht wurde. »Wir sind Krieger, das ist die Wahrheit. Zweifle das noch einmal an, und es wird der letzte Satz sein, den du jemals sprichst.«
Daneel fuhr sich mit der Zunge über rosa Zahnfleisch. Seine Angst roch modrig. »Ich bin dein Freund.« Jedes Wort, das er sprach, grub tiefe Falten in sein Gesicht. Schwarzklaue war nie zuvor aufgefallen, wie alt er war.
»Ich bin dein Freund«, wiederholte Daneel. »Nicht so wie die anderen, die sagen, sie wären deine Freunde. Nicht so wie Korvellan, der dich alleingelassen hat, der euren Traum verraten hat, um einem Menschen hinterherzujagen.«
Schwarzklaue ließ ihn los. Er fühlte sich plötzlich müde und enttäuscht, so als habe man ihm etwas weggenommen.
»Vielleicht war es nie sein Traum, nur meiner«, sagte er.
»Wenn er dir die Wahrheit gesagt hätte, wie es ein Freund tun sollte, dann wüsstest du die Antwort.«
»Was ist die Wahrheit?«
Daneel lächelte. »Dass ihr Krieger seid. Es ist die einzige Antwort, die du brauchst.«
»Du bist ein wahrer Freund«, sagte Schwarzklaue. Es klang seltsam, nicht wie etwas, das er sagen würde. Trotzdem tat er es.
»Willst du immer noch auf Korvellan warten?«, fragte Daneel.
Schwarzklaue zog die Lefzen hoch. »Er trifft seine Entscheidungen, ich meine.«
Er sah zum Steg. Die meisten Nachtschatten hatten bereits ihre Plätze auf den Flößen eingenommen.
»Krieger!«, rief er. Köpfe wandten sich ihm zu, Gespräche verstummten. »Westfall!«
Um ihn herum klatschten Ruder ins Wasser, Segel blähten sich im Wind. Die Flöße fuhren los.
Erst später, als Schwarzklaue neben Marya auf einer Decke lag und zusah, wie die Sonne am Horizont unterging, fiel ihm auf, dass Daneel, als sie miteinander gesprochen hatten, kein einziges Mal den Mund bewegt hatte.
Wie merkwürdig , dachte er und schlief ein.
Kapitel 27
Beneidenswert sind die Bauern von Westfall, denn ihre gütigen Herren haben sie von der Last jeglicher Verantwortung befreit. Man sagt ihnen, was sie anzubauen und was sie zu schlachten haben, wo sie zu leben haben, wo zu kämpfen und wo zu sterben.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
Sie waren zu fünft und nannten sich Miliz von Merborgh. Nachdem sie auf der anderen Seite des Flusses ihren Dienst versehen hatten, waren sie auf dem Weg zurück zu ihrem Dorf. Sie erzählten Craymorus von dem Nachtschattenüberfall auf Srzanizar.
Es entsetzte ihn. Kurz dachte er darüber nach, seine Reise abzubrechen, doch die Boote im Hafen von Srzanizar waren, so sagten die Milizsoldaten, entweder verbrannt oder rechtzeitig vor dem Angriff entkommen. Also saßen die Nachtschatten erst einmal fest. Wenn es so viele waren, wie die Männer behaupteten, würden ihnen ein paar Fischerboote nicht
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