Der verwaiste Thron 02 - Verrat
sich die Nachtschatten auf das Holz gelegt. Nur einer hockte am Steuerruder und lenkte das Floß.
»Angriff!«
Der Schrei hallte über das Wasser. Einen Lidschlag lang dachte Schwarzklaue, einer der Nachtschatten habe ihn ausgestoßen, doch dann hörte er ein Geräusch, als würde ein Vogelschwarm emporsteigen. Er wusste, was es zu bedeuten hatte.
»Unter die Flöße!«, schrie er, als Pfeile aus dem Himmel fielen. Dumpf bohrten sie sich in Holz, schlugen glucksend ins Wasser, gruben sich nass ins Fleisch. Nachtschatten schrien. Schwarzklaue stieß Marya vom Floß und sprang hinterher. Ein Pfeil zischte so dicht an ihm vorbei, dass er die Federn auf der Wange spürte.
»Angriff!«
Eine zweite Stimme, dunkler als die erste. Schwarzklaue holte tief Luft und tauchte unter. Er riss die Augen auf. Das Floß trieb über ihm. Marya hielt sich von unten am Holz fest, um nicht an die Oberfläche zu treiben. Ihre halb festgebundenen Schulterstücke schlugen im Wasser auf und ab.
Etwas durchschlug das Holz weniger als eine Handbreit von ihrem Kopf entfernt. Ein Stein schoss ins Wasser, zog einen Schweif aus Luft hinter sich her und verschwand in der Dunkelheit. Andere folgten, vor und hinter Schwarzklaue, die meisten jedoch hinter ihm. Die Katapultschützen hatten sich noch nicht auf die Entfernung eingestellt.
Er sah nach oben. Das Floß löste sich in seine Bestandteile auf. Stämme rollten im Wasser, Splitter und Kisten trieben zwischen ihnen. Seine Lunge brannte. Er musste auftauchen.
Marya durchstieß fast gleichzeitig mit ihm die Wasseroberfläche.
»Näher heran!« Sie keuchte. »Schnell!«
Hinter ihr stellte sich ein Nachtschatten auf einem Floß auf. Er hielt einen langen Eisenhaken in der einen und ein Tau in der anderen Hand. Eine Leiche lag neben ihm. Die Beine ragten empor, der Oberkörper hing im Wasser.
»Angriff!« Wieder die dunkle Stimme.
»Pass auf!«, schrie Schwarzklaue. Im gleichen Moment hörte er das Knallen, mit dem die Katapultschaufeln ausgelöst wurden. Singend rasten Steine über ihn hinweg. Der Nachtschatten ließ los. Die Steine trafen ihn und zerfetzten seinen Körper. Blut spritzte über das Floß. Fleisch und Knochen klatschten ins Wasser. Der Eisenhaken segelte nach oben, zog das Tau mit sich. Es war nicht das erste. Zwei weitere Tauenden trieben bereits im Wasser. Nachtschatten schwammen auf sie zu.
Die Schützen auf dem Schiff jubelten. In der Dunkelheit sahen sie die Eisenhaken nicht. Schwarzklaue ergriff Maryas Hand und zog sie darauf zu, bis sie die Taue bemerkte. Sie wischte sich Blut aus dem Gesicht und nickte. Irgendetwas musste sie getroffen haben.
Vor ihnen kletterten die ersten Nachtschatten nach oben. Die meisten trugen weder Schwerter noch Rüstung. Schwarzklaue zog unwillkürlich den Kopf ein, als eine weitere Pfeilsalve über ihn hinwegschoss, aber sie war viel zu hoch, richtete sich auf die Flöße weit hinter ihm.
Sie achten nicht auf uns , dachte er. Die Narren, die zurückgeblieben sind, lenken sie ab.
Endlich schlossen sich seine Hände um eines der Taue. Er zog sich daran empor. Der Schiffsrumpf war voller Muscheln und Algen, an denen er abrutschte. Marya war hinter ihm. Zweimal stürzte sie ins Wasser, dann erst fand sie Halt.
Schwarzklaue sah die Reling über sich und schob sich vorsichtig nach oben, bis er darüber hinwegblicken konnte. Der Eisenhaken hing in der Nähe des Bugs zwischen aufgerollten Tauen und offenen Kisten voller Steine. Links von ihm, weniger als eine Manneslänge entfernt, stand ein Katapult. Zwei Männer schaufelten glühende Kohlen hinein. Mehrere große Kohlepfannen standen in der Mitte des Decks. Matrosen stocherten mit Schaufeln darin, Funken stiegen empor und verloren sich in der Nacht.
Bogenschützen standen in Zweierreihen hinter den Katapulten. Schwarzklaue zählte vierzig Bogenschützen und sechs Katapulte, nicht ganz so viele, wie Snellig erwartet hatte. Wie viele Matrosen an Bord waren, konnte er nicht überblicken. Ständig liefen Männer zwischen dem Niedergang, der unter Deck führte, und den Bogenschützen hin und her. Sie trugen Eimer mit einer schwarzen Flüssigkeit.
Pech , dachte Schwarzklaue, als er sah, wie die Schützen ihre Pfeile hineintauchten und an Fackeln entzündeten. Sie wollen die Flöße in Brand setzen.
»Schwarzklaue«, flüsterte eine Stimme nicht weit entfernt. Er sah nach rechts und entdeckte zwei Nachtschatten zwischen den Taurollen. Sie hießen Krummzahn und Bärenkralle. Krummzahn winkte ihn
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