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Der verwaiste Thron 03 - Rache

Der verwaiste Thron 03 - Rache

Titel: Der verwaiste Thron 03 - Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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als er ihr mit der Hand über den Rücken strich. Er war ein weich aussehender Mann. Sein Gesicht war blass und teigig, die Augen klein. Sein braunes Haar war von dünnen weißen Strähnen durchzogen.
    Erys lächelte. Es wirkte gezwungen. »Wir wollten uns die Fluten ansehen. Sieht so aus, als säßen wir fest.«
    Cascyr seufzte und winkte ab. Sonnenlicht brach sich in den schweren Ringen an seinen Fingern. »Wir müssen wohl eine neue Brücke bauen lassen. Wir haben zur Sicherheit ein paar Reiter ausgeschickt, die nach anderen Wegen suchen sollen, aber Wir befürchten, dass Wir die Wärme Westfalls noch einige Tage genießen müssen. In Somerstorm werden Wir sicher noch voller Melancholie auf die sonnige Zeit hier zurückblicken.«
    »Niemand zwingt Euch zu gehen.« Der Satz war heraus, bevor Ana darüber nachdenken konnte. Sie erschrak, als sie die plötzliche Kälte in Cascyrs Augen sah. Einen Lidschlag später war sie verschwunden.
    »Das Schicksal zwingt Uns zu Unseren Taten«, sagte er im Tonfall eines Priesters. »Selbst die Götter unterliegen ihm, weshalb sollten Wir Uns also gegen es sträuben.« Er drehte sich zu den Gardisten um. »Das Schicksal gab Uns eine Armee und den richtigen Zeitpunkt, um mit dieser Armee das höchste aller Ziele zu erreichen: die Vereinigung der vier Königreiche, die Vollendung des Traums, der Maracor das Leben kostete.«
    Er verneigte sich vor Erys. Sie nickte ihm zu.
    »Und Somerstorm«, fuhr Cascyr fort, »ist der erste Schritt auf diesem Weg.« Er sah Ana an. »Freut Ihr Euch denn nicht darauf, Eure Heimat aus den Klauen der Ungeheuer zu befreien?«
    Sie wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte. »Natürlich freue ich mich darauf«, sagte sie nach einem Moment. »Ich wünschte nur, der Preis wäre nicht so hoch.«
    Cascyr schien sie misszuverstehen. »Der Tod Eurer Eltern und Eure Flucht liegen natürlich schwer auf Eurer Seele, aber Wir sind sicher, dass Euer Bruder weit schrecklichere Geschichten aus seiner Gefangenschaft zu berichten weiß.«
    »Mein …« Ana brach ab und schluckte.
    Lass es dir nicht anmerken , dachte sie, während ihr Herz schneller zu schlagen begann und Tränen Cascyrs Gesicht verschwimmen ließen. Er soll nicht merken, wie wenig ich weiß.
    »Woher wisst Ihr vom Schicksal meines Bruders?«, fragte sie mit einer Ruhe, die sie sich nie zugetraut hätte.
    »Könige haben ihre Quellen«, sagte Cascyr. »Euch war seine Gefangennahme bekannt?«
    »Natürlich.« Sie war sicher, dass ihr Lächeln einer Grimasse ähnelte. »Auch Fürstentöch… Fürstinnen haben ihre Quellen.«
    Gerit hatte überlebt. Sie fühlte sich, als wäre ein schwarzer Schleier von ihren Erinnerungen an ihn gerissen worden.
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte Erys.
    »Doch.« Ana nickte. Ihre Stimme klang belegt. »Ich musste nur an das Leid meines Bruders denken.«
    »Wir verstehen Eure Sorge.« Cascyr legte seinen Arm um sie. »Ihr werdet ihn schon bald wiedersehen, das versprechen Wir Euch.«
    Ana löste sich aus der Umarmung. Cascyr roch süßlich wie überreifes Obst. »Ich möchte zurück in mein Zelt.«
    »Selbstverständlich. Ihr habt Unsere Erlaubnis, Euch zu entfernen.«
    Sie ließ Cascyr und Erys stehen und lief zurück. Die Gardisten hielten Schritt mit ihr.
    Sie sah, dass Merie das Zelt bereits zwischen anderen aufgebaut hatte. Die Stoffbahn, die den Eingang bildete, war zurückgeschlagen. Im Inneren breitete Merie gerade einige kleine Teppiche aus.
    Ana schlüpfte durch den Eingang und zog den Stoff nach unten. Die Gardisten blieben vor dem Zelt stehen. Sie sah ihre Schatten an den Wänden.
    Merie sah auf. »Was ist denn los?«
    Ana umarmte sie. »Er lebt«, flüsterte sie. »Mein Bruder lebt.«

 
Kapitel 4
     
    Die Bibliothek der Festung von Westfall ist eine der größten in den vier Königreichen. Umso merkwürdiger mag es dem Reisenden erscheinen, dass kaum ein Fürst seit Willram dem Kopflosen die Kunst des Lesens erlernt hat und dass der Zugang zur Bibliothek Fremden wie Untertanen verboten ist. Was für eine Schmach muss sich darin verbergen, wenn sie glauben, sie nur durch Unwissenheit tilgen zu können?
    Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
     
    Es war der zehnte Tag der Belagerung. Am Vorabend hatte es keinen Angriff gegeben, trotzdem lagen sechs Leichen aufgebahrt in dem kleinen Tempel der Festung. Jonan nahm an, dass sie Verletzungen erlegen waren, die sie sich früher zugezogen hatten. Vielleicht waren sie

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