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Der verwaiste Thron 03 - Rache

Der verwaiste Thron 03 - Rache

Titel: Der verwaiste Thron 03 - Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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auch am Bluthusten gestorben, der sich in den Unterständen der Flüchtlinge ausbreitete.
    Er konnte es nicht erkennen, denn wie in Westfall üblich, hatten die Priester die Gesichter der Toten mit Tüchern bedeckt. Jemand hatte ihm erklärt, damit solle verhindert werden, dass die Seele durch Mund und Nase entwich, bevor die Leiche verbrannt wurde und sie mit dem Rauch zu den Göttern aufsteigen konnte. Eine Seele, die sich vorher aus dem Körper löste, wurde zum Geist und brachte Unglück über alle, die sie berührte.
    Jonan schüttelte den Kopf, als er daran dachte. Er verstand nicht, warum Menschen ein solches Geheimnis aus dem Tod machten. Man lebte, man starb, und wenn man Glück hatte, lebte man lange, bevor man starb. Das war alles.
    Er blieb am Eingang des Tempels stehen. Er lag in einem Seitenflügel der Festung, nicht weit von den Mannschaftsquartieren entfernt. Der Raum war rund, die Fenster hatte man bis auf eines verhängt. Das Licht daraus fiel auf einen von mehr als zwanzig Altären, die an den Wänden standen. Einige waren mit Blumen und Obst geschmückt, andere mit Kupfermünzen, bunten Stoffen, Tierkadavern und Schüsseln voller Wasser und Blut. Es roch nach Weihrauch, Frühling und Verwesung.
    Vor einigen Altären knieten Soldaten, vor anderen standen oder lagen sie. Es wurde gesungen, gesprochen und geschwiegen. Priester schritten zwischen ihnen hindurch, rein und unversehrt, perfekte Abbilder ihrer perfekten Götter.
    Jonan spürte, wie jemand neben ihm stehen blieb.
    »Willst du nicht beten?«, fragte Leutnant Garrsy. Er gehörte zu Craymorus' Leibwache. Gemeinsam hatten sie den Fürsten aus der Stadt der Magier nach Westfall begleitet.
    »Für meinen Gott gibt es hier keinen Altar«, sagte Jonan.
    »Wirklich?« Garrsy wirkte überrascht. »Wer ist dein Gott?«
    Jonan schwieg. Er wollte nicht lügen.
    »Ich verstehe«, sagte der Leutnant nach einem Moment. Dann kratzte er sich am Kopf. »Hat der Fürst in den letzten Tagen nach dir schicken lassen?« Er sprach leiser als zuvor, wie ein Verschwörer.
    »Nein«, sagte Jonan. »Ich sehe ihn nur noch selten.«
    »Ich auch, und das gefällt mir nicht.« Garrsy zog eine Laus aus seinen Haaren und zerquetschte sie mit angewidertem Gesichtsausdruck. Die Blutstropfen wischte er an der Hose ab. »Wenn er sich nicht mit den Magiern umgibt, vergräbt er sich in der Bibliothek oder …« Er zögerte. »… an dem anderen Ort, zu dem er immer geht. Du weißt, was ich meine.«
    Jonan nickte. Er hatte Craymorus selbst zu dem Kerker gebracht, in dem seit vielen Blindnächten ein gefangener Nachtschattenjunge in Ketten lag. Niemand wusste, was sich in dem Raum abspielte. Craymorus sprach nie davon, und auch die Kerkermeister schwiegen.
    »Das ist nicht gut. Das Volk braucht seinen Fürsten.« Garrsy sah sich um. »Ich weiß nicht, wie die Stimmung unter den Männern ist. Ich bin Offizier. Mir sagt eh keiner die Wahrheit. Aber du könntest dich für mich umhören.«
    »Das werde ich«, sagte Jonan.
    Garrsy schlug ihm auf die Schulter. »Danke.«
    Er schien sich abwenden zu wollen, blieb dann aber stehen. »Wenn die Magier nicht bald ihr Versprechen wahr machen«, fuhr er so leise fort, dass Jonan ihn über das Stimmengewirr kaum verstehen konnte, »und die Nachtschatten mit ihrem großen Zauber hinwegfegen, werden wir schwere Zeiten erleben. Die Rationen gehen zur Neige, die Schreiner fangen bereits an, Speere und Pfeile aus Möbeln zu schnitzen, und die Schmiede schmelzen Werkzeug ein, um Pfeilspitzen daraus zu machen. Wir halten vielleicht noch zwei Blindnächte durch, danach …« Er hob die Schultern.
    Warum erzählst du mir das? , wollte Jonan fragen, doch dann erkannte er die Antwort. Garrsy machte sich Sorgen, und der Fürst war nicht bereit, sich diese Sorgen anzuhören. Deshalb hoffte er, dass Jonan seine Bedenken weitergeben würde. Craymorus vertraute ihm, zumindest war das so gewesen, bevor er sich von allen außer den Magiern zurückgezogen hatte.
    »Ich werde deine Worte nicht vergessen«, sagte er.
    Garrsy nickte. »Such dir einen Gott, zu dem du beten möchtest. Wir brauchen Hilfe, ob aus dieser Welt oder einer anderen.«
    Jonan antwortete nicht. Garrsy wartete einen Moment, dann drehte er sich um und verließ den Tempel.
    Im Inneren beendeten die Soldaten nach und nach ihre Gebete, Jonan ging zu der kleinen Gruppe, die sich vor den aufgebahrten Leichen versammelt hatte, und half ihnen, sie nach draußen zu tragen. Im Hof brannte bereits das

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