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Der verwaiste Thron 03 - Rache

Der verwaiste Thron 03 - Rache

Titel: Der verwaiste Thron 03 - Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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er die Blicke der Toten in seinem Rücken zu fühlen. Die Stille, die über den Zimmern lag, schmeckte bitter.
    Craymorus ging schneller, begann zu rennen. Seine Schritte hallten durch die leeren Gänge, dann wurde es laut. Er hörte Schreie, Rufe, Knurren und Stöhnen. Die Kerkertür war nur noch zwei Biegungen entfernt. Er hätte nach links gehen müssen, um zu ihr zu gelangen, doch er lief nach rechts, weg von dem Lärm und den Blicken, die ihn dort erwarteten. Die Soldaten hatten einen Fürsten verdient, nicht ihn.
    Er keuchte, als er schließlich eine Tür aufstieß. Beim Anblick des Raums wurde ihm erst klar, dass er zu seinem alten Quartier gelaufen war. Rickard hatte es ihm damals gezeigt. Es roch immer noch nach Holz und kalter Asche.
    Craymorus ging zu der Waschschüssel, die unter einem Spiegel stand, schüttete Wasser hinein und wusch sich Gesicht und Hände. Das Wasser kühlte seine Haut. Er sah auf und erblickte im Spiegel das Gesicht eines Fremden, hohlwangig, bärtig, mit tiefen Ringen unter den Augen. Wann hatte er sich das letzte Mal rasiert? Er wusste es nicht mehr.
    Seine Hände erinnerten sich noch an die Bewegungen. Sie griffen in den Schrank unter der Waschschüssel, rührten den Rasierschaum an. Er rieb ihn sich ins Gesicht, dann griff er nach dem Rasiermesser. Ruhig zog er über seine Wangen, lauschte dem vertrauten Kratzen und dem Plätschern des Wassers, wenn er das Messer hineintauchte. Die Klinge berührte seinen Hals. Er hielt inne.
    Schreie drangen aus dem Hof zu ihm hinauf. Sein Adamsapfel bewegte sich unter dem Messer. Er drückte dagegen, spürte den scharfen Stich, als er die Haut durchdrang. Die Adern in seinem Hals klopften.
    Nur eine Bewegung , dachte er, ein schneller Ruck von links nach rechts.
    Die Augen in seinem Spiegelbild starrten ihn an, müde und flehend. Blut lief in seinen Kragen. Eine Bewegung.
    Craymorus ließ das Messer fallen. Es polterte vor seinen Füßen auf den Boden. »Nein«, sagte er laut. Der Klang seiner eigenen Stimme ließ ihn zusammenzucken. Er tauchte das Gesicht ins Wasser, fühlte, wie die Seife in seine Augen stach und kam wieder hoch. Mit dem Ärmel trocknete er sich ab.
    »Nein«, sagte er seinen flehenden Augen. Er würde sein Leben nicht mit einem letzten Fehler beenden.
    Ruckartig wandte er sich ab und ging zum Fenster.
    Die Besessenen waren durchgebrochen. Ihre weißen Leiber taumelten im Sonnenlicht blind über den Hof. Flüchtlinge liefen in Panik vor ihnen davon, Soldaten versuchten sie mit Fackeln zusammenzutreiben, sprangen aber selbst zurück, wenn sie ihnen zu nahe kamen. Die Bogenschützen auf den Dächern schossen Salven in den Hof. Einen Moment lang glaubte Craymorus, sie würden auf die Besessenen schießen, doch dann sah er, dass sie einige Flüchtlinge angriffen, die versuchten, das Tor zu öffnen.
    Er ging zur Tür. Sein Fuß stieß gegen die Rasierklinge und trat sie unter den Schrank. Er bemerkte es kaum.
    Rauch schlug ihm entgegen, als er die letzte Treppe hinter sich ließ und auf den Haupteingang zulief. Ein Wandteppich stand in Flammen. Das Feuer hatte bereits auf einen Balken übergegriffen.
    Beinahe wäre Craymorus über die Leiche gestolpert. Sie lag im Schatten, halb verborgen unter einem umgestürzten Schrank. Die Uniform war blutig, das Gesicht zur Hälfte weggerissen. Trotzdem erkannte er den Mann.
    »Es tut mir leid, Leutnant Barganim«, sagte er, als er dem Toten das Schwert aus der schlaffen Hand nahm. »Du hast auf einen Narren gehört.«
    In den Gängen hinter ihm polterte es. Einige Besessene schienen sich dort verlaufen zu haben, doch die meisten hatten den Weg auf den Hof gefunden. Sie schlugen um sich, trafen Männer, Frauen und Kinder. Waffen benutzten sie keine, noch nicht einmal abgebrochenes Holz. Die meisten wirkten jung, waren wohl in den Kellern geboren. Der Wahnsinn war ihre Mutter und ihr Vater gewesen, dort unten in der sprachlosen Dunkelheit. Sie wussten nicht, was eine Waffe war, ebenso wenig wie Sonnenlicht.
    Craymorus lief die Treppe nach unten. »Öffnet das Tor!«, schrie er.
    Niemand hörte ihn. Die meisten Soldaten hatten einen Kreis am anderen Ende des Hofs gebildet. Die Speere hatten sie mit dem stumpfen Ende nach vorn ausgestreckt, stießen damit Besessene zurück, die in immer größerer Zahl auf sie einstürmten. Die Speere sahen aus wie die Speichen eines übergroßen Wagenrads.
    Andere Soldaten waren auf die Mauern geklettert und schlugen mit Schwertern auf die Sprossen der Leitern

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