Der verwaiste Thron 03 - Rache
Manchmal vermisste Schwarzklaue den Norden so sehr, dass er den Schnee auf der Zunge schmeckte.
»Sammle die Krieger aus dem Süden«, sagte er schließlich.
»Wenn sie zu feige für die Verdammnis sind, dann sollen sie wenigstens die Soldaten von den Mauern holen.«
Redalyo presste die Lippen aufeinander. »Ich werde sie darum bitten.«
Schwarzklaue wandte sich ab, bevor Redalyo den Satz zu Ende gesprochen hatte. Mit langen Sätzen stürmte er auf die Festung zu. Der Gestank der Besessenen hüllte ihn ein, als er zwischen sie sprang und ihre Bäuche mit seinen Klauen aufriss.
Ihr Blut spritzte über sein Fell. Blind schlugen sie um sich. Er wich ihren Händen aus, wühlte sich tiefer in die Menge hinein.
Die Krieger aus dem Norden folgten ihm. Die Besessenen waren schwach. Ihr Fleisch hing von den Knochen herab, ihre aufgeblähten Bäuche wölbten sich über Beine, die so dick waren wie Schwarzklaues Arme. Doch es waren viele, viel mehr, als er anfangs gedacht hatte. Sie drohten ihn zu erdrücken.
Schwarzklaue schlitterte über die blutigen Steine. Sein Atem ging schwer, Müdigkeit zog seine Arme nach unten. Die Schläge, die ihn zufällig trafen, begannen zu schmerzen, als die Lust am Kampf nachließ. Rauchschwaden reizten seine Kehle.
Mit der Schulter prallte er gegen einen Mauervorsprung. Er trat die Hände einiger Besessener zur Seite und zog sich an dem Vorsprung hoch. Andere Krieger folgten ihm. Sie waren zu fünft und blutverschmiert. Einige hatten Waffen gefunden, mit denen sie auf die Besessenen einstachen.
Schwarzklaue sah über die Köpfe der Wahnsinnigen hinweg. Es waren Dutzende. Hunderte andere lagen tot oder verletzt am Boden. Doch auch Kriegerleichen sah er darunter, mehr, als er befürchtet hatte.
Schwarzklaue drehte den Kopf, als er ein Pferd laut wiehern hörte. Hufschlag hallte von den Wänden und Mauern wider, machte es fast unmöglich, die Richtung, aus der die Pferde kamen, abzuschätzen. Es waren zwei, das hörte Schwarzklaue deutlich, aber er sah sie erst, als sie schon fast das Haupthaus erreicht hatten.
Schwarzklaue stieß den Atem aus. »Korvellan?«
Die Krieger, die neben ihm standen, rissen die Köpfe hoch. Die plötzliche Freude in ihren Gesichtern versetzte ihm einen Stich. »Korvellan!«, rief einer.
Der General schien ihn über den Lärm der Besessenen nicht zu hören. Er saß auf dem ersten der beiden Pferde und zog das zweite an den Zügeln hinter sich her. Der Reiter darauf hielt sich ungeschickt fest.
Schwarzklaue nahm zwei Schritte Anlauf und sprang über die Menge hinweg. Er prallte gegen einen Besessenen, den er zur Seite stieß, gegen einen zweiten, dem er die Kehle aufriss, dann war er an ihnen vorbei, schlitterte über die Steine auf die beiden Reiter zu. Vor dem Torbogen richtete er sich auf. Die Pferde galoppierten auf ihn zu.
»Korvellan!« Schwarzklaue sah ihm in die Augen. Es lag eine Trauer darin, die ihn verwirrte. »Sprich mit mir!«, schrie er. »Korvellan!«
Korvellan wich seinem Blick aus. Die Hufe seines Pferdes verließen den Stein, sanken in den blutigen Schlamm vor dem Torbogen. Er würde es nicht zügeln, das erkannte Schwarzklaue im gleichen Moment.
Er warf sich zur Seite, kam im Schlamm auf und rutschte weg, dann kämpfte er sich fluchend wieder hoch. Die Pferde donnerten an ihm vorbei, hinaus aus der Festung.
Einer der Nachtschatten aus dem Süden, der Soldaten abfing, die aus der Festung zu fliehen versuchten, riss seinen Bogen hoch, zielte damit auf den Menschen, der auf dem zweiten Pferd saß.
Korvellan ließ die Zügel seines Pferdes los und zog ein Schwert aus dem Gürtel. Noch während der andere Nachtschatten anlegte, holte er damit aus und schleuderte es ihm entgegen. Es spaltete den Kopf des Kriegers. Der Pfeil löste sich von der Sehne und schoss hoch in den Himmel.
Schwarzklaue brüllte.
Die Festung brannte.
Schwarzklaue hockte auf einem der Wehrgänge neben dem Torbogen und sah zu, wie sich die Flammen Raum für Raum, Fenster für Fenster ausbreiteten. Es würde Tage dauern, bis das Feuer die von den Jahrhunderten gehärteten Balken zerfressen hatte, Jahre, bis die steinernen Wände verfielen und unter Moos und Efeu verschwanden, bis die Festung und die Stadt zu ihren Füßen nur noch dunkle Erinnerungen waren.
Aber es wird geschehen , dachte Schwarzklaue. Der Gedanke tröstete ihn.
Er streckte sich. Seine Muskeln schmerzten, sein Fell war blutverklebt und schmutzig. Der Geruch nach Wahnsinn lag auf seiner Zunge, die
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