Der Vierte Tag
Berlin gibt bekannt, dass die Patientin, die nach einem Ultimatum des Geiselnehmers in der Humana-Klinik dorthin verlegt wurde, ihrem schweren Leiden erlegen ist. Das Universitätsklinikum Charité in Berlin gibt bekannt, dass ..."
"Was ist da plötzlich bei Ihnen los?"
Ich habe vollkommen vergessen, dass ich das Telefon noch in der Hand habe, Kühn noch auf eine Antwort wartet.
Die Pistole unverändert auf mich gerichtet, reißt mir Fröhlich den Hörer aus der Hand.
"Kommt und holt mich, ihr Schweine. Kommt doch endlich! Aber vorher wird das ganze Stockwerk in die Luft fliegen!"
Fröhlich lässt den Hörer los, nicht aber die Pistole. Die wechselt er in die linke Hand, mit der rechten nimmt er wieder seinen Schraubenzieher, schraubt hektisch an seinen Päckchen herum, verbindet Drähte und Schalter.
Ich brauche eine Waffe! Was könnte ich nehmen? Keine große Auswahl, das meiste ist fest installiert. Ausgerechnet jetzt melden sich wieder meine Rhythmusstörungen, mein Hals wird eng, mein Blick unklar. Trotzdem entdecke ich eine volle Infusionsflasche aus Glas, das Beste, womit ich im Augenblick als Waffe dienen kann.
Fröhlich achtet nicht auf mich, ist voll mit seinen Sprengsätzen beschäftigt.
Wie nahe werde ich ihm unbemerkt kommen können?
Das Handy tönt, Fröhlich schaut sich zu mir um, ich verstecke die Infusionsflasche hinter dem Rücken. Fröhlich macht weiter mit seinen Drähten, behält mich aber im Blick. Also schalte ich wenigstens das Handy auf Empfang. Es ist Zentis, aufgeregt, überschlagende Stimme.
"Schnell, Felix. Du hast kaum Zeit, sie kommen gleich rein. Finaler Todesschuss! Ab mit dir in das Intermediate-Zimmer, hörst du? Intermediate-Zimmer!"
"Danke", kann ich noch stammeln, "das werde ich dir nie vergessen!"
Fröhlich ist verschwunden! Wohin? Die Rhythmusstörungen schnüren mir fast den Hals ab, ich bekomme kaum Luft. Ich entdecke Fröhlich in der Teeküche, gleich werden alle Sprengsätze scharf sein. Ich stürze mich auf Fröhlich.
Fröhlich ist jünger als ich, kräftiger als ich, und - wenn das möglich ist - noch verzweifelter als ich. Nach nur wenigen Sekunden liege ich auf dem Boden, er sitzt auf mir, seine Arme halten meine wie im Schraubstock. Stinki genießt das tolle Spiel, tanzt um uns herum und bellt begeistert. Wie aus weiter Ferne höre ich wieder das Handy, dann auch das stationäre Telefon. Für den Bruchteil einer Sekunde lässt sich Fröhlich ablenken, ich bekomme den entscheidenden Arm frei, meine Infusionsflasche trifft ihn an der Schläfe.
Ich bin Zentis mehr als dankbar für seinen Tipp, wer will schon an einem so schönen Sommertag sterben? Uns bleiben nur noch Sekunden, da bin ich sicher. Ich greife Fröhlich unter beide Arme und schleppe uns in Sicherheit - hoffe ich. Da geht auch schon, ohne jede Vorwarnung, eine automatische Waffe los. Und ich höre Zentis schreien, irgendetwas wie: "Halt, halt!" Vielleicht.
Danach und auf dem Waldfriedhof
§ 5 Verhalten auf dem Friedhof
„Das Verhalten auf dem Friedhof hat der Trauer, dem Totengedenken und der Besinnung zu entsprechen.
Es ist verboten ... Tiere, ausgenommen Führhunde für Blinde, mitzuführen. Die Friedhofsverwaltung kann Ausnahmen zulassen.“
aus: Verordnung über die Verwaltung und Benutzung der landeseigenen Friedhöfe Berlins (Friedhofsordnung)
vom 19. November 1997 (GVBl. S. 614)
"Wie konntest du sicher sein?"
Nach einem kurzen Umweg über die klinikeigene Tierpension im ehemaligen Wirtschaftstrakt der Humana-Klinik, wo wir Stinki untergebracht haben, sitzen Celine und ich nun bei "Paulchen", direkt gegenüber der Klinik. Es gibt sie noch, die Berliner Eckkneipen, wenn auch nicht mehr vier an jeder Straßenkreuzung. Paulchen hat bis spät in die Nacht geöffnet und hält sich vor allem dank der nicht ungeteilten Zustimmung zum Angebot unserer Personal-Cafeteria über Wasser. Celine, umsichtig wie immer, hat mir sogar frische Klamotten mitgebracht, und außerdem bekomme ich endlich mein kühles Bier.
Auf dem Fernseher hinter dem Tresen laufen die immer selben Bilder vom "Ende des Geiseldramas an der Humana-Klinik in Berlin". Mit einem Handtuch über dem Kopf wird Fröhlich abgeführt, Fröhlich strauchelt kurz, Fröhlich sitzt im Polizeiwagen, der Polizeiwagen mit Fröhlich fährt ab. Unheimlich spannende Bilder, aber wenigstens gibt es keine von Dr. Hoffmann in Papierunterhosen. Von Zentis ist nichts zu sehen, auch nicht im Hintergrund.
Celine wiederholt ihre Frage. "Wie konntest
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