Der Vierte Tag
eine solche Barbarei abschütteln, bevor der ihn in den Wahnsinn treibt. Hat er wirklich vergessen, dass Herr Fröhlich unsere drei Patienten längst freigelassen hat?
Im Folgenden vergisst er jedenfalls nicht, der Sache auch eine internationale Dimension zu geben. Wahrscheinlich soll Innensenator in Berlin nicht der Gipfel seiner politischen Karriere bleiben, da ist es wichtig, auch lokale Fragen in ihren globalen Zusammenhängen zu sehen.
"Wir haben bisher keine konkreten Hinweise über Verbindungen des Täters zum internationalen Terrorismus, können diese aber auch nicht ausschließen. Auf jeden Fall ist dies ein Akt des Terrorismus, ob nun mit internationalem Hintergrund oder nicht, und jeder Akt des Terrorismus bereitet diesem weltweiten Krebsgeschwür weiter den Weg in unsere Gesellschaft und muss entsprechend bekämpft werden."
Der Herr Innensenator macht keine spezifischen Ankündigungen, hat sich aber auch so ziemlich deutlich auf Aktionismus festgelegt.
"Der spinnt wohl", kommentiert Käthe.
Renate belässt es bei einem trockenen "Prost Mahlzeit!"
"Politikergeschwätz", versucht Herr Fröhlich uns zu beruhigen, und wahrscheinlich auch sich selbst. "Der Mann von der Polizeiführung klang doch ganz vernünftig."
Das stimmt, ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Herr Innensenator qua Amt oberster Dienstherr der Polizei ist. Und dass bei einem neuen Einsatz in "Taktik und Wahl der Einsatzmittel" inzwischen keine Rücksicht mehr auf schwerkranke Patienten genommen werden muss.
Mit dem beruhigenden Interview des Herrn Innensenator beendet Radio Berlin-Brandenburg die Sonderberichterstattung, es folgt der vorgesehene Spielfilm. Noch bevor der Titel eingeblendet wird, sehen wir den Helden, der im vollbesetzten Jumbo hoch über dem Atlantik versucht, eine Bombe zu entschärfen. Ist es der rote, der grüne oder der weiße Draht? Schweiß bildet sich auf Stirn und Oberlippe, wie kriegen die das immer hin?
"Will das irgendwer sehen?"
Niemand antwortet, aber Renate klickt weiter, hat entschieden, dass wir auf diese Art von Spannung heute gerne verzichten können. Zumal der Fortbildungsaspekt wenig zuverlässig ist. Auf den anderen Sendern wird kräftig geschossen und Auto gejagt, auch nichts für unsere Nerven. Schließlich bleiben wir bei einer Doris Day/Rock Hudson Konserve hängen, in der ordentlichen Welt von 1960, als der Alltag noch überschaubar und das Leben noch sicher war. Das scheint Renate die richtige Kost für uns zu sein.
Tatsächlich verfolgen wir eine Zeitlang die spannenden Missverständnisse und lustigen Verwicklungen in einer amerikanischen Vorstadt. Aber plötzlich setzt ein Geräusch ein, ein feines Klirren und dumpfes Grollen, das nichts mit dem Spielfilm oder seinem Alter zu tun hat. Und das Fernsehbild ist gestört.
"Sie bleiben sitzen!"
Herr Fröhlich springt auf und geht mit gezückter Pistole hinter dem Tresen in Deckung. Wie wir versucht er, Ursprung und Bedeutung des Geräuschs zu identifizieren.
Ein Blitz, ein lauter Knall - ein Sommergewitter! Regen und Hagelkörner prasseln gegen die Scheiben, unter dem heute Morgen zu Bruch gegangenen Fenster bildet sich eine Pfütze. Kräftige Böen rütteln an den noch intakten Fenstern. Wird das immer wieder geflickte Klinikdach dicht bleiben?
Vorsichtig schaue ich neben dem zugezogenen Rouleau auf die Straße vor der Klinik. Eilig bringen die Fernsehteams ihre Gerätschaften in Sicherheit, der Wind treibt Abdeckplanen vor sich her, schüttelt verärgert die Satellitenschüsseln auf den Übertragungswagen. Sieht die Polizei jetzt ihre Chance und nutzt den Lärm und die Unruhe als Deckung für eine neue Aktion?
Herr Fröhlich scheint ähnliche Überlegungen anzustellen, vorsichtig beobachtet er am anderen Fenster die Straße. Aber es scheint, das Unwetter kommt auch für die Polizisten überraschend, die flüchten sich in die Mannschaftswagen. Voll Mitleid denke ich an die Scharfschützen, die sicher auf den Dächern uns gegenüber postiert sind und nun im Regen auf ihre Chance warten müssen. Ich ziehe mich vom Fenster zurück - weiß ich, wie stark ein Regentropfen auf dem Zielfernrohr das Bild verzerrt!
Das laute Prasseln ist in einen Dauerregen übergegangen, die Böen lassen nach. Das Wetter beruhigt sich ein wenig, wir auch. Herr Fröhlich hat seine Pistole wieder eingesteckt und geht in die Teeküche.
"Soll ich Ihnen etwas machen?" erkundigt sich Käthe.
"Haben Sie hier einen Wasserkocher?"
Herr Fröhlich zaubert
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