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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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mit einer Klinge.«
    »Gab es Schuldige?« fragte Adamsberg und nahm das Blatt.
    »Hier«, zeigte Josette, indem sie ihren zittrigen Finger ausstreckte. »Eine etwas verwirrte Säuferin, die in einer Waldhütte lebte und als Hexe der Gegend galt. Für die junge Brasillier haben sie einen Arbeitslosen eingesperrt, einen Stammgast in den Kneipen von Saint-Eloy-les-Mines, nicht weit von Pionsat. Und für den Mord an Fèvre haben sie einen Forstarbeiter aufgelesen, der in der Vorstadt Cambrai auf einer Bank zusammengebrochen war, mit Alkohol im Blut und dem Messer in der Tasche.«
    »Gedächtnisverlust?«
    »Bei allen.«
    »Die Waffen waren neu?«
    »In allen drei Fällen.«
    »Das ist phantastisch, Josette. Jetzt sind wir ihm auf der Spur, von Castelet-les-Ormes im Jahr 1949 bis Schiltigheim. Zwölf Morde, Josette, zwölf. Sind Sie sich darüber im klaren?«
    »Dreizehn mit dem in Quebec.«
    »Ich war allein, Josette.«
    »Gegenüber Ihrem Stellvertreter sprachen Sie von einem Schüler. Wenn er nach dem Tod des Richters viermal zugeschlagen hat, warum sollte er nicht auch in Quebec getötet haben?«
    »Aus einem einfachen Grund, Josette. Wenn er sich wirklich die Mühe gemacht hätte, nach Quebec zu kommen, dann nur, um mich in eine Falle zu locken, so wie es mit den anderen Sündenböcken geschehen ist. Wenn wirklich ein Schüler oder Nacheiferer Fulgences Fackel übernommen hat, dann aus Verehrung für den Richter und in dem übermächtigen verlangen, sein Werk zu vollenden. Doch dieser Mann, diese Frau, selbst wenn Fulgence sie mit seinem Gift infiltriert hätte, ist nicht Fulgence. Der haßte mich und wollte meinen Untergang. Aber der andere, der Schüler, trägt nicht denselben Haß in sich, er kennt mich ja nicht. Die Serie des Richters zu vollenden ist eine Sache, aber zu morden, um mich dem Toten als Geschenk darzubringen, ist eine andere. Daran glaube ich nicht. Deshalb sage ich Ihnen, ich war allein.«
    »Clémentine sagt, das seien trübe Gedanken.«
    »Aber richtige. Und wenn es wirklich einen Schüler geben sollte, kann er nicht sehr alt sein. Verehrung ist ein Gefühl der Jugend. Wahrscheinlich wäre er heute zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Männer dieser Generation rauchen nicht Pfeife, oder sehr selten. Der Besitzer des Schlosses aber rauchte Pfeife und hatte weißes Haar. Nein, Josette, ich glaube nicht an einen Schüler. Das führt in eine Sackgasse.«
    Josette bewegte rhythmisch ihren grauen Hausschuh und tippte mit dem Fuß auf den alten Steinfußboden.
    »Es sei denn«, sagte sie nach einer Weile, »man glaubt an Untote.«
    »Es sei denn.«
    Wieder fielen beide in tiefes Schweigen. Josette schürte das Feuer.
    »Sind Sie müde, meine Josette?« fragte Adamsberg, überrascht, sich Clémentines Worte benutzen zu hören.
    »Es kommt oft vor, daß ich nachts herumlaufe.«
    »Da hätten wir also diesen Mann, Maxime Leclerc, Auguste Primat oder wie auch immer er heißen mag. Seitdem der Richter tot ist, macht er sich unsichtbar. Entweder versucht der Schüler, die Vorstellung von Fulgence zu verlängern, oder unser Untoter will sein Gesicht nicht zeigen.«
    »Da er ja tot ist.«
    »Genau. In vier Jahren hat nie jemand Maxime Leclerc zu Gesicht bekommen. Weder die Angestellten der Agentur noch die Putzfrau, noch der Gärtner, noch der Briefträger. Alle außerhalb des Anwesens zu tätigenden Gänge waren der Haushälterin anvertraut worden. Die Anweisungen des Besitzers wurden schriftlich übermittelt, unter Umständen auch per Telefon. Eine durchaus mögliche Unsichtbarkeit also, schließlich ist sie ihm ja geglückt. Und dennoch scheint es mir unmöglich, Josette, daß einer sich gänzlich allen Blicken entziehen kann. Für zwei Jahre vielleicht, doch nicht für fünf, nicht für sechzehn. So was kann funktionieren, allerdings nur unter der Bedingung, daß man die Überraschungen des Lebens unberücksichtigt läßt, die plötzlich eintretenden Dinge, die Unwägbarkeiten. Und im Laufe von sechzehn Jahren ergibt sich so was doch. Wenn man diese sechzehn Jahre zurückverfolgt, müßte man irgend so eine Unwägbarkeit entdecken können.«
    Josette, als gewissenhafter Hacker, hörte zu und wartete auf genauere Anweisungen, während sie den Kopf und ihren Hausschuh bewegte.
    »Ich denke an einen Arzt, Josette. Ein plötzliches Unwohlsein, ein Sturz, eine Verwundung. Die Art Unwägbarkeit, die einen zwingt, dringend einen Arzt zu rufen. Sollte dieser Fall wirklich eingetreten sein, hätte der Mann

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