Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Grégoire mit vorwurfsvoller Stimme.
    »Er ist von den Toten zurückgekehrt. Entweder ich pack diesen alten Teufel bei den Hörnern, oder ich verlier meine Seele.«
    »Sprich nicht so, Jean-Baptiste«, befahl ihm der Pfarrer, als wäre er noch immer ein Kind. »Wenn Gott dich hört.«
    »Grégoire, erinnerst du dich an seine Ohren?«
    »Das linke, meinst du wohl?«
    »So ist es«, sagte Adamsberg lebhaft und nahm sich einen Bleistift. »Erzähl.«
    »Man soll Toten ja nichts Übles nachreden, aber dieses Ohr war wirklich nicht gelungen. Nicht durch Gottes Willen, sondern durch die Schuld der Doktoren.«
    »Gott hatte ihn aber immerhin mit Segelohren zur Welt kommen lassen.«
    »Aber Er hatte ihm Schönheit geschenkt. Gott muß alles ein bißchen verteilen in dieser Welt, Jean-Baptiste.«
    Adamsberg dachte, daß Gott seine Aufgabe mächtig vernachlässigte und daß es gut war, wenn ihm angesichts seiner Schluderei hin und wieder eine Josette zur Hand ging.
    »Erzähl mir von diesem Ohr«, sagte er, darauf bedacht, daß Grégoire auf den unergründlichen Wegen des Herrn nur ja nicht den Faden verlor.
    »Groß, verformt, das Ohrläppchen lang und leicht behaart, der Gehöreingang eng, die geschwungene Ohrmuschel durch eine Kerbe in ihrer Mitte lädiert. Erinnerst du dich an die Mücke, die sich mal in Raphaëls Ohr verkrochen hatte? Wir haben sie schließlich mit einer Kerze herausgeholt, wie wenn man nachts mit einer Laterne angelt.«
    »Ich erinnere mich sehr gut, Grégoire. Sie hat in der Flamme geknistert, mit einem ganz feinen Geräusch. Erinnerst du dich an das feine Geräusch?«
    »Ja. Und ich hab ein paar Witze darüber gemacht.«
    »Das stimmt. Aber erzähl mir was über den Allmächtigen. Bist du ganz sicher, was diese Kerbe angeht?«
    »Absolut. Er hatte auch eine kleine Warze rechts am Kinn, die ihn beim Rasieren gestört haben muß«, fügte Grégoire, der wieder aus seinem Detailreservoir schöpfte, hinzu. »Der rechte Nasenflügel war weiter geöffnet als der linke, und der Haarwuchs reichte ihm bis über die Wangen.«
    »Wie machst du das bloß?«
    »Ich kann auch dich beschreiben, wenn du willst.«
    »Lieber nicht, Grégoire. Ich bin auch so schon durcheinander genug.«
    »Vergiß nicht, daß der Richter tot ist, mein Junge, vergiß es nicht. Paß bloß auf dich auf.«
    »Ich versuch’s, Grégoire.«
    Adamsberg dachte kurz über den alten Grégoire nach, wie er an seinem ranzigen Holztisch saß, und widmete sich dann mit einer Lupe wieder seinen Fotos. Die Warze am Kinn war gut zu erkennen, die unregelmäßigen Nasenlöcher ebenfalls. Das Gedächtnis des alten Pfarrers war so scharf wie einst, ein regelrechtes Teleobjektiv. Abgesehen von dieser Altersdifferenz, die der Arzt erwähnt hatte, schien das Gespenst Fulgence endlich aus seinem Leichentuch herauszusteigen. An einem Ohr hervorgezogen. Allerdings, sagte er sich, während er die Aufnahmen des Richters vom Tage seiner Pensionierung betrachtete, hatte Fulgence stets jünger ausgesehen. Der Mann hatte immer über eine außergewöhnliche Kraft verfügt, das konnte sich Courtin eben nicht vorstellen. Maxime Leclerc war kein gewöhnlicher Patient gewesen und folglich auch kein gewöhnliches Gespenst.
    Adamsberg kochte sich noch einen Kaffee und wartete ungeduldig darauf, daß Josette und Clémentine von ihren Einkäufen zurückkamen. Nun, da er den Baum Retancourt verlassen hatte, spürte er, wie sehr er ihre Unterstützung brauchte und wie es ihn danach verlangte, ihnen von jedem seiner Fortschritte zu berichten.
    »Wir halten ihn schon an einem Ohr, Clémentine«, sagte er und nahm ihr den Korb ab.
    »Was Sie nicht sagen! Das ist wie bei einem Knäuel, wenn man erst das Ende in der Hand hält, braucht man bloß noch zu ziehen.«
    »Steigen wir in einen neuen Kanal hinab, Kommissar?« fragte Josette.
    »Wenn ich dir doch sag, daß er’s nicht mehr ist. Das ist ja nicht zu glauben, meine arme Josette.«
    »Wir machen uns nach Richelieu auf, Josette. Und suchen den Namen des Arztes, der vor sechzehn Jahren den Totenschein unterschrieben hat.«
    »Aber das ist ja kinderleicht«, sagte sie ein wenig beleidigt.
     
    Josette brauchte nur zwanzig Minuten, um die Ärztin herauszufinden, eine gewisse Colette Choisel, die den Richter seit seiner Ankunft in der Stadt Richelieu behandelt hatte. Sie hatte die Untersuchung der Leiche vorgenommen, einen Herzstillstand diagnostiziert und den Totenschein ausgestellt.
    »Haben Sie ihre Adresse, Josette?«
    »Sie hat

Weitere Kostenlose Bücher